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Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noreen Ayres
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wegzulocken«, sagte ich lächelnd, aber ich wünschte, er hätte einige der jungen Patienten gesehen, die ich sah, als Bill im Krankenhaus lag. Der eine war erst siebenundzwanzig Jahre alt und hatte Löcher in seiner Schulter und seinem Hals, wo sie Krebs herausoperiert hatten, und er lebte in ständiger Angst.
    Ich tat, was ich tun mußte, unterschrieb und nahm die Akte mit nach vorne zu Janetta. Auf dem Weg dorthin warf ich einen Blick in den Autopsiesaal und sah Studenten, die mehr oder weniger in einer Reihe an der Wand lehnten. Eine hielt ein Taschentuch über Mund und Nase. Eine andere lehnte ihren Kopf an die Schulter eines Kommilitonen. Die meisten hatten die Hände in die Taschen gesteckt oder die Arme verschränkt, oder sie fummelten in ihrem Gesicht herum. Diese Leute würden eines Tages Polizisten sein: Wenn sie zum ersten mal einen Leichnam aus einem verbeulten Auto ziehen mußten oder aus einer verbrannten Badewanne, dann mußten sie das schaffen, aber ich war froh, daß ich daran erinnert wurde, daß Menschen ein geradezu offensichtliches Mitleid empfinden, wenn sie Tote so hilflos daliegen sehen.
    Draußen wartete eine Busladung leichter Krimineller darauf, den Tag damit zu verbringen, Müll am Freeway einzusammeln. Einige der Gefangenen sahen mich an, als ich an ihnen vorbeiging, und ihre Gesichter, zumindest das, was ich davon sehen konnte, waren ausdruckslos. Aber ich fühlte mit ihnen. Vielleicht hätten einige liebend gern hinter mir hergepfiffen und damit etwas Spaß und Normalität in ihr Leben gebracht; einige dachten sicher an ihre Familie und an ihren Boss und wie diese Menschen damit zurechtkamen, daß sie alles kaputtgemacht hatten und daß sie, falls sie herauskamen, niemals mehr mit dem und dem zu tun haben wollten; einige sagten sich sicher, Scheiß auf das Theater, beim nächsten Mal mache ich es richtig. Das waren keine dummen Jungs. Ob es einem gefällt oder nicht, die meisten von ihnen waren jedenfalls aus Gründen dort, die gravierend genug waren, daß sie dem Kronzeugenprogramm, das der Sheriff sich erdacht hatte, nicht entfliehen konnten und, auch wenn der Durchschnittsbürger es nicht gerne hört, die meisten waren schon lange Zeit kriminell.
    Ein anderer Bus wartete neben dem weißen Eisenschiebetor bei der Aufnahme bzw. Entlassungszentrale, das obendrauf mit Rolldraht bespannt war. Dieser Bus mußte sicherlich zu außenliegenden Häusern fahren, nachdem die Gefangenen einen Tag im Gericht verbracht hatten. Der normale Alltag.
    Mein Auto stand ziemlich weit entfernt von den Bussen, weit hinten auf dem vollgepackten Parkplatz, so daß ich mit meiner Akte auf dem Schoß einen Moment dort sitzen konnte. Die Wärme der Sonne auf den Sitzen war angenehm auf der Rückseite meiner Oberschenkel und an meinem Rücken.
    Ich sah auf den Aufkleber, »JEROME ALPHONSUS DWYER«, stand darauf mit der Registriernummer. Ich saß lange in meinem Auto, bevor ich sie öffnete.
    »Heute abend ist bei Dollie und Bob eine Party. Willst du kommen?« fragte Raymond. Ich hatte Raymond von meinem Autotelefon aus angerufen, und es war eines der ersten Male, daß ich es benutzte. Das war ja nur möglich, weil sein heißer Ofen auch mit einem Telefon ausgestattet war. Die meisten Polizisten haben nur ein Radio. Er fragte mich, ob ich mein Krankengeld für mein neues Telefon ausgäbe.
    »Ruf mich jetzt bloß nicht alle halbe Stunde an, Raymond. Es kostet mich genausoviel Geld, wenn ich angerufen werde.«
    »Wozu hat man es denn dann?«
    »Du kannst Leuten gut auf die Nerven gehen. Bist du etwa Polizist?«
    »Paß auf, komm’ zu der Party, ich spendiere dir auch ein Bier.«
    »Ich brauche eine Party.«
    »Natürlich.« Es tat gut, seine weiche Stimme zu hören. Stimmen haben eine bestimmte Wirkung auf mich. Seine war wie weicher Brandy. Warum war ich eigentlich nicht in ihn verliebt?
    Diese Unterhaltung fand statt, während ich mich auf dem Costa Mesa Freeway befand, der 55, auf dem Weg nach Hause, nachdem ich den Nachmittag damit verbracht hatte, immer wieder die Details des Autopsieberichtes durchzugehen. Das Kleinkalibergeschoß traf Jerry in den Mund; es zerstörte das Gewebe und blieb im fleischigen hinteren Teil des Mundes verankert. Das würde das viele Blut erklären. Er mußte daran gewürgt haben, ja und dann war er wohl ausgerutscht und deswegen hatte er es nicht geschafft, die Mörder draußen zu halten.
    Nachdem ich den Bericht zurückgebracht hatte und wieder an meinem Schreibtisch saß,

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