Blutorangen
versuchte ich, an alten Dingen zu arbeiten, alle Mitteilungen zu lesen und wegzuwerfen, die sich in meiner Abwesenheit angesammelt hatten, alle neuen gerichtsmedizinischen Pläne, mit denen man nie etwas anfangen kann und die man letztendlich in einem Ordner ablegt, ungelocht, so daß sie wieder herausfallen, wenn man ihn das nächste Mal anfaßt.
Zum Mittagessen ging ich zu einem der Restaurants auf dem Santa Ana Boulevard und versuchte, die Bilder aus meinem Kopf zu verdrängen. In diesem Restaurant sitzen immer Rechtsanwälte an gemütlichen Tischen und reden über Rechtsangelegenheiten. Ich mußte aber nicht zuhören. Ich täuschte Interesse an den abstrakten Papierskulpturen an der Wand vor, die malvenfarben und grün waren, und plauderte ein wenig mit der Bedienung, die gehört hatte, daß man in Alaska immer noch Grundstücke kaufen konnte.
Aber ich konnte Jerry nicht aus dem Kopf bekommen. Als ich zum Büro zurückging dachte ich an das letzte Mal, daß ich ihn lebend gesehen hatte. Er hatte gewunken und »Bis bald, paß auf dich auf«, gerufen. Und als ich daran dachte, verschwammen die Kieselsteine auf dem Bürgersteig vor meiner Sonnenbrille, und ich war sogar froh, wieder im Büro zu sein und Routinearbeiten machen zu können.
Am Nachmittag ging es besser. Als ich dann wieder am Ende des Arbeitstages auf dem Freeway im Schneckentempo nach Hause fuhr, ging wieder alles daneben. Die anderen Autofahrer ärgerten mich vorsätzlich, und ich brauchte verdammt nochmal eine Party.
Ein Mann in einem weißen Ford zog von seiner Spur auf meine und fuhr mir fast den rechten Kotflügel ab. Ich hupte nicht einmal. Ich sagte zu Raymond: »Mensch, irgendein Typ hat mich gerade geschnitten. Hat mich nicht mal gesehen.«
»Steht er kurz davor, seinen Führerschein abgeben zu müssen, der alte Knacker?«
Ich lachte, weil es wirklich ein alter Mann mit weißem Hemd war und einer dicken Brille, der starr vor sich hinblickte. Einige Rentner sind wirklich harmlos, aber viele sind so aggressiv wie eine Straßengang. Sie drängeln sich in Schlangen erbarmungslos vor, treten dir auf den Fuß und entschuldigen sich noch nicht einmal. Wahrscheinlich denken sie, sie haben Privilegien, weil sie schon so lange leben.
Ich kam auf die Party zurück und fragte: »Kommst du mit Yolanda?«
Ray schwieg einen Moment. Obgleich er mit jeder Frau flirtet als ob es sein Job wäre, ist Yolanda seine feste Freundin, sie wohnt sozusagen bei ihm. Aber sie streiten sich ständig. Sie ist auch Mexikanerin und auf jede Frau eifersüchtig, die es nicht ist. Er nutzt das, um ihr zu sagen, warum sie seiner nicht würdig ist. Beziehungen sind viel zu viel Arbeit, denke ich.
»Ray?«
»Was?«
»Kann ich meine Freundin Patricia mitbringen?«
»Sicher. Du hast mir lange genug von ihr erzählt.«
»Sie wird dir nicht gefallen.«
»So, warum?«
»Sie ist zu groß.« In solchen Dingen ist Ray sehr sensibel. »Sie ist einsachtzig.«
»Hat sie zwei große, du weißt schon, Augen?«
»Ich habe sie nicht gezählt, aber ich glaube es sind drei.«
»So ein Mist.«
»Beruhige dich.«
»Raymond schwieg wieder. »Liest du deinen Playboy, Raymond? Hm?«
»Nein, hör’ zu. Ich suche ... ich habe vergessen, es dir zu sagen ... Oh, hier ist es. Robbins und Delco haben um halb vier zwei Herumtreiber festgenommen. Das wollte ich dir noch sagen. Zwei Brüder. Vorwiegend Raubüberfälle. Heißen Dugdale. Phillip und — «
»Nimmst du mich auf den Arm, Raymond?« Ich konnte fühlen, wie die Anspannung aus meinem Gesicht wich.
»Mal sehen ... wieviel kriege ich für den anderen?«
»Was?«
»Nur ein kleines Küßchen heute Abend, unter dem Tisch?«
»Mach schon, Raymond. Das kostet mich Geld.«
»Oh, Geld kostet es. Also gut. Sie heißen: Phillip G. und Roland G. Dugdale. Beide zweiten Vornamen mit G. Sieht aus, als ob sie allen möglichen Mist von Diebstahl bis Überfall gemacht haben. Hat einiges auf dem Kerbholz dieser Roland.«
»Hast du eine Kopie ihres Profils?«
»Direkt hier vor mir. Auf meinem MTV.« Er meinte seinen MDT, sein mobiles Datenterminal, einen Computer, mit dem er in die Dateien des Bezirks kann. Seine Abteilung wurde gerade als Testobjekt eingesetzt. »Die Sachen sind alt«, sagte er. »Das letzte ist sechs Jahre her. Es wundert mich, daß es auf dem Bildschirm erscheint. Oh — nein, Diebstahl, das ist vielleicht anderthalb Jahre her.«
»Und für was sind sie diesmal festgenommen worden?«
»Eine Reihe von unbezahlten
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