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Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noreen Ayres
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war er fast leer. »Er stochert im Fleisch herum.«
    In der Tat. Er hatte eine Laborschürze an und stand neben einer Scheibe Fleisch, die auf dem Metzgerpapier lag, das den Tisch bedeckte. Ich wußte, was er tat. Ich hatte es schnell kapiert. Da Fleisch heutzutage geschnitten und ohne Fett verkauft wird, mußte er Schweinefett auf das Fleisch auftragen, damit die Muskel-Fett-Proportionen des menschlichen Körpers erreicht werden. Aber das menschliche Fett ist anders, schwammiger und gelb. Nun ja. Ich hatte schon von dieser Methode gehört, aber nie gesehen, wie es jemand machte.
    Ich schlich mich an: »Ich glaube, es ist jetzt durch.«
    »Hi, Smokey«, sagte er, fast erleichtert. Er schaute mich an, dann wieder das Fleisch.
    »Haben wir eine Grillparty?«
    »Das hier ist Sanders erfolgloser Versuch zu lernen, welche Art von Loch ein Küchenmesser im Vergleich zu einem Klappmesser zum Beispiel macht.«
    »Das scheint mir sehr offensichtlich zu sein.«
    »In diesem Fall nicht. Das passierte, als du im Krankenhaus warst.«
    Ich kam näher heran, um zu sehen, welchen Schaden Joe dem Fleisch zugefügt hatte. Hinter ihm auf dem Tisch war ein Notizblock, und ich dachte mir schon, daß er sich Notizen machen würde, wenn er ein paar Mal hineingestochen hatte. Neben den Notizen lag ein Vergrößerungsglas. Er sagte: »Wir haben das Messer mit dem Blut des Opfers. Deshalb wissen wir, daß es die verdammte Mordwaffe war. Aber die Wunde paßt nicht zu den Eigenschaften des Messers.« Er schüttelte den Kopf.
    »Wer war das Opfer?«
    »Eine Frau. Er hat auch gebissen.«
    Es gab mal eine Zeit, in der ich alles ganz genau wissen wollte. Auf einer Straße in Oakland, in einem weniger glamourösen Stadtteil, sah ich einige verdeckte Ermittlerinnen Tricks drehen. Auf dem Bürgersteig kam ein Mann herbei mit weißen Koteletten, die sich bis zum Kinn hinzogen, und der kreidegrauen Haut afrikanischen Ursprungs. Er trug einen taillierten grauen Zweireiher. Er selbst hätte gut ein pensionierter »Inspector« gewesen sein können, der immer mal anhielt und mit den Frauen auf der Straße sprach. Als er zu einer unserer Polizistinnen im Minirock und mit Mikrofon kam, sagte er mit seinem höflichen, aber gleichbleibenden Bariton: »In großer Weisheit steckt auch großes Leid, und der, der sein Wissen vergrößert, vergrößert auch sein Leid.« Er ging die Straße herab und sprach mit den anderen Mädchen über Wissen und Leid. Die Mädchen sagten wahrscheinlich: » Was erzählst du da?« oder »Verpiß dich, Alter« oder so etwas, und er ging dann weiter. Aber das Absurde dieser Situation blieb mir im Kopf, und ich erinnerte mich von Zeit zu Zeit daran. Zum ersten Mal, als ich Gürtel- und Brandwunden eines sechsjährigen Jungen untersuchte, der in der Nähe der Berkeley Hills im reichen Viertel von Oakland wohnte und dessen Mutter im Vorstand des Krankenhauses und dessen Vater ein Wissenschaftler vom Lawrence Livermore Krankenhaus war. Ich weiß, daß für ein bestimmtes Wissen der Preis sehr hoch ist. Joe sagt, daß jeder Wechsel einen Verlust bedeutet, und daß man um jeden Verlust trauern muß. Sí, und man muß auch um einige Gewinne trauern.
    »Vielleicht verkalke ich langsam. Ich werde hieraus nicht schlau«, sagte Joe. Er stach wieder auf das Stück Fleisch ein.
    Ich sagte: »Die Wunde vergrößert sich, wenn es einen Kampf gibt.«
    »Ja. Das weiß ich. « Er stand etwas von dem Tisch entfernt und zeigte mit dem Messer auf seinen Notizblock, indem er die Seite hochhob und eine Seite zum Vorschein kam, auf der eine Skizze zu sehen war, die die vertikale Wunde darstellte. An der Spitze des Schnittes ging eine kurze, horizontale Linie nach rechts weg. »Das hier«, sagte er und zeigte mit der verklebten Messerspitze auf die Linie, »kann ich nicht verstehen. Diese kleine, besondere Ecke da, dieser Schnörkel. Warum ist er da?«
    »Ist das so wichtig?« Er schaute mich kurz mit hochgezogenen Augenbrauen an, die sagten, was ist bloß los mit dir? Ich beugte mich erneut über die Zeichnung und sagte: »Ich meine ja nur, wenn man die Leiche hat und das Messer, welchen Unterschied macht es dann?«
    »Tatbestände müssen interpretiert werden, Ms. Brandon.«
    »Vielleicht solltest du ein Hüftsteak nehmen«, sagte ich. »Es ist fester. Wie alt war die Frau?«
    Er mochte meine Kritik wahrscheinlich nicht. Immerhin war er derjenige, der mich alles mögliche direkt oder indirekt all die Jahre gelehrt hatte, indem ich ihm zusah. Er sagte ohne

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