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Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noreen Ayres
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klüger als sie. Ich sagte dann vielleicht etwas sanfter: »Wir sind Freunde, Patricia. Freunde achten darauf, wie es dem anderen geht. Sie vertrauen sich einander an. Du vertraust dich mir nicht an. Du hast mir erst gesagt, daß du mit ihm ausgehen willst, als du es schon getan hattest. Weil du wußtest, was ich sagen würde. Und du hattest nicht den Mut und den Respekt, mir das zu sagen. Du bist nicht dümmer. Du bist nur nicht ehrlich.« Das hörte sich sehr gemein an, und ich konnte sehen, daß sie verletzt war. »Wo warst du die ganze Zeit? Hast du einen Gedanken an mich, deine Eltern oder deinen Job verschwendet, verdammt nochmal, nur einen Gedanken?«
    »Mit dir kann man nicht reden.« Ihre Mundwinkel sanken und dann teilten sich ihre Lippen, als ob sie etwas sagen wollte, aber nicht wußte, was sie sagen sollte.
    Ich flüsterte: »Du weißt genau, wie mich der Mord an Jerry Dwyer mitgenommen hat — du wußtest, daß die Polizei Roland und seinen Bruder verdächtigt hat — du warst sogar dabei, als sie verhört wurden. Und trotzdem hast du eine Beziehung mit ihm angefangen.«
    »Wenn du so sehr gegen ihn bist, warum bist du dann zum Pier gekommen?«
    Ich hörte, wie sich eine Wohnungstür schloß und fühlte, wie sich der Boden unter Fußtritten bewegte. Ich hörte hohe Absätze unter mir klappern, und Patricia und ich blieben einander zugewandt stehen, als die Frau herankam und auf die Treppe zuging.
    »Du denkst, ich sei so streng, aber ich kenne diese Leute besser als du. Was ist mit all den Gesprächen, die wir geführt haben? Was ist mit all den Dingen, die ich gesehen habe und von denen ich dir erzählt habe? Dein Gehirn befindet sich im Moment zwischen deinen Beinen, Patricia.«
    Das war alles, was ich sagte.
    Sie ging weg, dreht sich um und sagte: »Du bist hoffnungslos.«
    Roland kam auf uns zu, und schob Annabel wie eine Galionsfigur vor sich her, seine Hand an ihrem Ellbogen. »Seid ihr fertig? Wir wollen doch am Strand Würstchen grillen oder nicht?«
    Er rieb sich die Hände, als ob er Feuer machen wollte wie ein Indianer und steckte dann die Daumen in seine Taschen, bevor er sein Ladykillerlächeln aufsetzte, das er zuerst Patricia und dann mir zuwarf. Seine Augen suchten meine, und man konnte seine weißen Zähne sehen, die sagen wollten, sieh nur, ich bin völlig harmlos. Und für eine halbe Sekunde vergaß ich, wer er war, sah die Intimität zwischen ihm und Patricia, und fühlte mich als Außenseiter.
    Ich schaute Annabel an und sagte: »Hi.«
    »Hi, ich müßte eigentlich arbeiten. Ich muß Überstunden machen«, sagte sie und lachte leicht.
    »Ich weiß, wie das ist.« Ich versuchte, herauszufinden, was es an ihr war, das mich störte.
    »Wir schwänzen«, sagte sie.
    Dann sah ich es, hinter ihren dunklen Wimpern. »Du bist higher als Helium«, sagte ich.
    Sie zog einen Mundwinkel hoch, lehnte sich an die Balustrade und hob ihren Kopf, als ob sie Sonnenstrahlen einfangen wollte, nur daß dort keine Sonne war, weil wir alle im Schatten standen.
    Ein wissender und verführerischer Gesichtsausdruck war auf Rolands Gesicht zu sehen. Ich hatte das bei Tausenden von Männern gesehen, an der Bar, nachdem ich meine Tanznummern hinter mir hatte und einen Drink brauchte, um mich abzukühlen, am Tisch neben der Tür, wenn die Bar zumachte oder auf dem Parkplatz. Ich hatte diesen Blick von Freunden meines Vaters beim Grillen gesehen, als ich erst dreizehn war und jetzt ab und zu bei neuen Polizisten, welchen, die ich nicht kannte und die mich nicht kannten und nicht wußten, wer ich war. Jetzt war also wieder Anstarrzeit.
    Ich fragte: »Weiß dein Bewährungshelfer, daß du dich mit einer Rauschgiftsüchtigen abgibst?«
    Sein Gesicht fiel zusammen. Er sagte zu Patricia: »Was soll das? Was machst du mit mir?«
    Sie sagte: »Nichts. Entschul — «
    Er drehte sich um, nahm Annabels Arm und sagte: »Wir hauen ab, Baby.«
    Patricia lief ihm nach, und ihr wadenlanges blau-weißes Kleid mit den Volants hüpfte bei jedem Schritt hoch. Dann hielt sie an, schaute zurück und sagte: »Vielen Dank für dein Verständnis, Samantha.«
    Jetzt war ich wieder Samantha. Diesmal sagte ich nichts. Die Schlaue, die nichts zu sagen wußte.
     
    In dieser Nacht glaubte ich, der Wind würde stärker und ließ Blätter an meine Scheiben schlagen. Ich ging ins Wohnzimmer und dachte, daß ich es bedauerte, daß die Blätter dieses Jahr von dem langen, heißen Sommer fast alle braun waren. Die beiden Amberbäume vor meiner

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