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Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noreen Ayres
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herüberzuklettern. Der Stacheldraht sollte nach außen zeigen, zur Straße hin, aber auf einer Seite der Straße zeigte er nach innen, vielleicht, um die Arbeiter einzuschließen, aber ich hoffte, daß der Aufseher dafür keine Gehaltserhöhung bekam.
    Sepulveda ging in den Willow Boulevard über, ohne daß es mir auffiel und schon war ich wieder in der Zivilisation. Ich fuhr an einem Friedhof in der Stadt vorbei, mit aufrecht stehenden Grabsteinen. Ich fuhr auch an einem 20- Minuten-Waschsalon vorbei, einer Spielhalle, und dann an einem Lokal mit Silhouette einer nackten Frau in Rot im Fenster und den Worten HARDBODIES — GIRLS, FOOD, POOL, BEER vorbei, aber heute war geschlossen.
     
    Graffiti verdeckte das Schild, auf dem WILLKOMMEN IN LONG BEACH stand. Gut, dachte ich, ich bin in der richtigen Gegend. Ich wußte um die Schwierigkeiten, die Long Beach hatte, da die Polizei sehr gering besetzt war und die Zahl der Verbrechen immer mehr zunahm. Dieses Jahr hatten wir in Orange County ungefähr 170 Morde, die höchste Zahl in der Geschichte. Ich wollte mir gar nicht erst vorstellen, was die Polizei in L.A. zu bewältigen hatte. Sie mußten sich um 700 Morde kümmern. Und um dem Ganzen noch die Spitze aufzusetzen, erhielten die Gerichtsmediziner am laufenden Band junge kambodschianische Männer vom Hmong-Stamm, die unter mysteriösen Umständen starben. Sie gingen abends ins Bett und waren am nächsten Morgen tot. Ihre medizinische Vergangenheit zu beleuchten, war unmöglich, da die Hmong keine geschriebene Sprache haben.
    Während ich darauf wartete, daß die Ampel umsprang, schoben ein Schwarzer und ein Mexikaner einen weißen VW einen Hügel hoch bis zur Kreuzung. Vor mir sah ich einige Leute in Gebäude ein- und ausgehen, und als ich an einer Ecke langsamer fuhr, sah ich einen älteren, swingenden Schwarzen mit einer silbernen Uhrkette an seiner Weste, eine Baskenmütze über die eine Hälfte seines Gesichtes gezogen und das Kabel seines Kopfhörers lief von den Ohren in seine Hemdtasche. Sein Bart war gleichmäßig grau melliert, und als sich unsere Blicke kreuzten, nickte er mir zu. Ich nickte zurück, und es gab ein geheimes Verständnis zwischen uns, zwischen ihm und mir in unseren unterschiedlichen Welten.
    Ich fuhr auf die zehnte Straße, da ich nicht zu nahe bei »Queen Mary« und »Howard Hughes Spruce Goose« vorbei wollte, Orte, an denen Roland und Phillip Dugdale wieso nicht waren, und ich hatte Glück. In meinen Rückspiegel sah ich auf dem Bürgersteig eine junge Frau mit dunklen Haaren, einer pinkfarbenen Bluse, schwarzen Shorts, die ihre plumpen Beine umschlangen, einen schwarzen Cowboyhut und hohen Schuhen. Hier mußte irgendwo eine Bar sein. Ich kreiste mit dem Wagen und hielt vor einem geschlossenen Restaurant mit orientalischer Schrift auf den Scheiben, sah mich um, stieg aus und verschloß die Tür.
    Die Bar befand sich in der Richtung, aus der die Frau gekommen war. Über der offenen Tür war kein Name zu sehen. Die Tür sah aus wie der gepolsterte und geknöpfte Sessel meines Vater, aber Leute aus der Nachbarschaft brauchten keinen Namen. Sie sagten »Freddies« oder »Der Club« oder so und das war alles, was man wissen mußte.
    Es war lange her, daß ich in so einem Laden gewesen war, einer richtigen Bar, keiner Wasserstätte für Anfänger. Erdnußschalen bedeckten den Boden. In der Mitte der hinteren Wand stand eine stumme Musikbox, eine Wand, die aus riesigen, dunklen Balken bestand, die aussahen wie Telefonmasten. Ich ging an drei Kunden vorbei, die an der Bar saßen und wartete auf die Frau dahinter, die kniete, um Tüten mit Kartoffelchips in den Schrank darunter zu stopfen. Ich hörte sie fluchen, weil nicht alle reinpaßten, die kleinen rutschigen Teufel und ihr auf die Füße fielen. Sie hob sie auf und schob sie tief hinten in einen anderen Schrank. Als sie sich aufrichtete, sagte ich: »Frohe Weihnachten.«
    »Was kann es fröhlicher machen?« sagte sie und hob den Kopf, so daß sie durch ihre Brille sehen konnte, die ihr ein wenig von der Nase gerutscht war. Sie trug ein weißes Herrenhemd mit hochgerollten Ärmeln, und ihre ergrauten Haare waren zu einem Dutt zusammengerollt.
    »Wie wär’s mit einem Coors ?«
    »Gut.«
    Hinter ihr war falscher Schnee auf den Spiegel direkt über den Flaschenhälsen gesprüht worden. Ich setzte mich auf einen Barhocker und schaute dorthin, wo die Männer saßen. Sie beobachteten mich, aber dann drehten sie ihre Köpfe wieder ins Profil und

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