Blutorks 1 - Frenz, B: Blutorks 1
dass seine Schar die klein geschlagenen Trümmer zu einem großen Holzhaufen auftürmte. Er fühlte sich wie auf einer Reise durch eine ferne Welt.
Erst als Ragmar zu stöhnen begann, kehrte Urok in die Wirklichkeit zurück. Inzwischen sah er den Gefangenen mit anderen Augen.
Dieser junge Kerl mochte ein Feigling sein, der nichts vom Kampf oder der Jagd verstand. Dafür aber verfügte er über ein anderes, weitaus spezielleres Talent. Er war der Schöpfer dieser wundervollen Bilder! Abstreiten war sinnlos: Ragmars schwarz und blau gefärbte Finger bewiesen es. Sie trugen den gleichen Farbton wie die aus dem Ledersack gefallenen Kreidestücke.
»Ist das Sangor?«, fragte Urok atemlos. »Oder nur eine Stadt, die du dir ausgedacht hast?« Noch immer bediente er sich der Sprache der Menschen, damit ihn Ragmar auch verstand. Für das Wort Stadt gab es in der Orksprache keinen entsprechenden Ausdruck, aber Urok konnte sich ungefähr vorstellen, was damit gemeint war.
Statt auf das Buch zu schauen, tastete Ragmar lieber über die Stelle an seinem Hinterkopf, an der ihn die flache Klingenseite niedergestreckt hatte. Als er die nässende Beule berührte, die dort prangte, zuckte er wie unter einen Hieb zusammen.
Urok bereute umgehend, so kräftig zugeschlagen zu haben. Hoffentlich plagte den Hellhäuter keine Sehstörung. Manchmal verschwanden die nicht wieder.
Eine vorübergehende Kurzsicht befürchtend, hielt er Ragmar das Buch direkt vors Gesicht. Der Gefangene sah trotzig über den Rand hinweg und fixierte ihn mit zusammengekniffenen Lippen.
Sehen konnte er schon, er wollte bloß nicht antworten.
Der Ork ließ das Buch sinken.
Manche Menschen nahmen es einem übel, wenn man ihren Vaterbruder im Kampf erschlug. Ragmar gehörte offenbar dazu. Vielleicht brauchte er aber auch nur etwas mehr Zeit, um sich zurechtzufinden …
Urok tippte ungeduldig mit dem Zeigefinger auf die Zeichnung. »Ist das Sangor?«, fragte er erneut. »Die weiße Stadt am Meer?«
3
S angor, im Schatten der Schwebenden Festung
So stark in sich zusammengekauert, wie Benir zwischen den getünchten Dachzinnen klebte, war er vom Basar aus nahezu unsichtbar. Dazu trug nicht nur der weite, weiß melierte Kapuzenumhang bei, der seine Konturen perfekt verwischte, sondern auch der Atem des Himmels, der die Luft um ihn herum zum Flirren brachte.
Ein geschulter Beobachter, der seine Umgebung gezielt absuchte, ließ sich natürlich nicht auf diese Weise täuschen, doch solange die Händler mit dem Anpreisen ihrer Waren und die Kaufwilligen mit dem Herunterhandeln derselben beschäftigt waren, reichte diese Vorsichtsmaßnahme vollkommen aus.
Wegen der anschwellenden Mittagshitze wurden die meisten Geschäfte ohnehin im Schatten der bunten Markisen getätigt, die bis weit in die Straßenmitte ragten. Und falls doch einmal ein Schaulustiger in die Höhe blinzeln sollte, so würde er höchstens die Umrisse eines Lichtbringers entdecken und es lieber vorziehen, rasch in eine andere Richtung zu schauen.
Ein schlechter Ruf hatte eben auch seine Vorteile. Allerdings nur, wenn man sich nicht an der kaum verhohlenen Abneigung störte, die einem dafür entgegenschlug. Benir war es zum Glück egal, was Menschen über ihn dachten. Seine Gedanken galten ausschließlich Nera und der prekären Lage, in der sie sich befand.
Ein metallisches Klappern, viel zu hell für massiven Stahl, ließ ihn kurz zusammenzucken. Es war nur seinen überreizten Nerven zuzuschreiben, dass er überhaupt darauf reagierte. Nachdem er die Quelle des Geräuschs unter einer rotweiß gestreiften Markise ausgemacht hatte, die einen Stand für Kupfertöpfe überdachte, entspannte er sich wieder.
Zu dieser Zeit glich der Basar tatsächlich einem Hort der Friedfertigkeit. Die Stadtwache ließ sich entsprechend selten sehen. Und falls doch einmal eine Patrouille des Weges kam, schlenderte sie müde und desinteressiert vorüber.
Diese nachlässige Haltung konnten sich die Soldaten durchaus leisten. Seit die Lichtbringer über Sangor wachten, bekamen sie kaum noch Gelegenheit, ihre zusammengerollten Lederpeitschen oder gar ihre Krummsäbel aus den Gürteln zu ziehen. Das zwielichtige Gesindel, das sich in jedem Basar einer jeden Stadt zwischen Händlern, Gauklern und Marktbesuchern herumdrückte, war inzwischen äußerst vorsichtig geworden.
Doch König Gothars Herrschaft wirkte sich nicht nur lähmend auf das Treiben der Diebe und Bettler aus, sondern auch auf das Leben der gesamten
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