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Blutorks 1 - Frenz, B: Blutorks 1

Blutorks 1 - Frenz, B: Blutorks 1

Titel: Blutorks 1 - Frenz, B: Blutorks 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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noch komplizierte Rituale. Es geschah einfach aus ihr heraus, war ein ganz natürlicher Vorgang, so wie einen Becher Wasser an die Lippen zu setzen, weil sie Durst verspürte.
    Nur einen Herzschlag später versiegte die Zirkulation innerhalb der Säule. Unterhalb des ersten Drittels riss der stete Strom einfach ab. Die darunter befindliche Glut sackte geräuschlos in die Tiefe, während der verbliebene Stumpf schlagartig anschwoll. Zuerst bildeten sich nur dicke Klumpen, aus denen aber bald Dutzende von umherwandernden Halbkugeln wurden. Einen unangenehmen Herzschlag lang erinnerte dieses Gewimmel an einen eitrigen Herd von Geschwüren, doch schon beim nächsten zerfloss alles zu ineinander übergehenden Formen, aus denen sich schließlich die Konturen von drei verschiedenen Gesichtern schälten.
    Die überschüssigen Glutmassen, die weiter über die Felsen emporstiegen, suchten sich neue Abflusswege. Rasend schnell schossen sie vom Scheitelpunkt der Decke zurück, sammelten sich zu dicken Blasen und wälzten sich schließlich, abrollenden Bannern gleich, in breiten Feuerbahnen über die Höhlenwände nach unten. Einige schroffe Unebenheiten und Vorsprünge sorgten für glühende Kaskaden, doch dann hatte sich das geschmolzene Gestein den neuen Gegebenheiten angepasst. Der Kreislauf war wieder geschlossen.
    Geräuschlos. So als ob es nie andere Glutadern gegeben hätte.
    Die veränderten Lichtverhältnisse ließen Urok aufblicken. Trotz seiner Verwirrung erfassten seine Instinkte sofort, was es mit den über Eck angeordneten Orkgesichtern auf sich hatte.
    »Vuran«, flüsterte er ergriffen. Denn obwohl die Züge eines Knaben, eines Erwachsenen und eines Greises zu sehen waren, handelte es sich doch bei allen Abbildern um dieselbe Gestalt. Um den Gott, der ihnen das Blut der Erde geschenkt hatte.
    »Das ist er«, bestätigte sie. »In den drei uns bekannten Gestalten,
die Geburt, Leben und Tod symbolisieren.« Sie ließ den Säulenstumpf zuerst eine Vierteldrehung nach links und dann nach rechts vollführen, um zu verdeutlichen, welches Gesicht für welchen Zeitabschnitt stand.
    Natürlich erzählte sie ihrem Bruder damit nichts Neues. Er wusste ebenso gut wie jeder andere Blutork, dass der Knabe für die Geburt, der Krieger für das Leben und der Greis für den Tod stand. Aber auch für …
    »Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft«, fügte Urok hinzu, um zu beweisen, dass er kein Unwissender war.
    »Sehr gut«, lobte Ursa. »Du hast offenbar eine kluge Schwester, die dir früher viel beigebracht hat.« Sie grinste breit, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Dann sorgte sie mit einem kurzen Gedanken dafür, dass der Säulenstumpf unter der Decke eine Halbdrehung vollführte.
    Die nahezu glatte Rückseite, die daraufhin zum Vorschein kam, entlockte Urok ein überraschtes Schnaufen.
    »Was soll das?«, rief er laut, ja, regelrecht empört. »Warum schändest du Vurans Antlitz auf diese Weise?«
    Sein Vorwurf kam nicht von ungefähr. Normalerweise wurden Vurans Dreierbildnisse, mit den Hinterköpfen aneinanderklebend, so angeordnet, dass die äußeren Abmessungen von oben betrachtet ein gleichschenkliges Dreieck ergaben. Die Säule unter der Decke hingegen formte ein Quadrat, dessen hinterste Seite leer geblieben war, als würde noch ein Gesicht fehlen.
    »Das geschieht nicht mit Absicht«, erklärte Ursa, während sich erste Schweißperlen auf ihrer Stirn bildeten. »Sein Antlitz auf übliche Weise zu formen, will an diesem Ort einfach nicht gelingen. Weder mir noch einem der anderen Priester. Das Blut der Erde lässt sich nur so weit beherrschen, wie es sich uns aus freien Stücken fügt. Doch in diesem Fall setzt es seinen eigenen Willen durch.«
    »Ist das wirklich wahr?« Ramoks Harnisch fest mit beiden Armen an die breite Brust gepresst, richtete sich Urok langsam auf.
    Ursa nahm ihm die Frage nicht übel. Als Novizin hatte sie ebenfalls geglaubt, dass ihr die Älteren nur etwas vorgaukelten. Bis sie
selbst zum ersten Mal daran gescheitert war, das übliche Abbild Vurans zu formen.
    Viele Hüter des Horts waren fest davon überzeugt, dass dieses auf die Blutkammer beschränkte Phänomen nichts zu bedeuten hatte. Dass das Blut der Erde diese Form der Darstellung nur wählte, damit am Versammlungsplatz alle drei Gesichter jederzeit zu sehen waren. Ursa war anderer Meinung; sie hatte diese Ansicht nie geteilt und hielt sie endgültig für absurd, seit sie einmal versucht hatte, dem freien Platz ein viertes Gesicht

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