Blutorks 1 - Frenz, B: Blutorks 1
ohne Ulke eines weiteren Blickes zu würdigen.
Sie hätte ihn gern noch zum Bleiben aufgefordert, spürte aber, das der Hohepriester das nicht geduldet hätte.
»Such dir einen Platz, an dem du in Ruhe grübeln kannst«, riet sie ihrem Bruder, bevor sie ihn im Nacken fasste und ihre Stirn gegen die seine schlug, wie es unter Familienmitgliedern und guten Freunden üblich war. Urok erwiderte den Abschiedsgruß mit ebensolcher Herzlichkeit, dann ging er auf direktem Weg zur Treppe hin, wobei er Ulke fast mit der Schulter gerammt hätte.
»Und?«, fragte sie, nachdem sich Uroks Schritte in der Ferne verloren hatten. »Bekomme ich jetzt eine Rüge?«
»Nein«, antwortete Ulke, der sich die ganze Zeit über nicht von
der Stelle gerührt hatte. Nur ein regelmäßiges Zucken unter seiner linken Wange zeigte, wie sehr es in ihm gärte. »Er ist dein Bruder, und du bist eine Hüterin des Heiligen Hortes. Es ist unsere Aufgabe, alle Blutorks auf Vurans Pfaden zu begeleiten. Auch die, die sich verirrt haben. Wenn du glaubst, dass der Harnisch seinem kranken Geist hilft, so hast du vollkommen richtig gehandelt. Ich verstehe nur nicht, warum du ihm das Mysterium der Flammensäule offenbart hast.«
»Von wegen Mysterium.« Sie lachte verächtlich. »Als ob nicht Dutzende von Streitfürsten und Erste Streiter davon wüssten. Die wahren Geheimnisse dieses Hortes werden doch im Hohen Rat gehütet.«
Ulke wollte etwas darauf erwidern, doch sie hielt ihn mit einer Geste davon ab. Gleichzeitig griff sie nach dem blutigen Pergament unter ihrer Lederschürze.
»Ich hielt es für richtig, meinem Bruder das Rad des Feuers zu zeigen, weil er mir dies hier gegeben hat.« Sie faltete die Zeichnung auseinander und reichte sie dem Hohen. »Das stammt von demselben Hellhäuter, der die lederne Schrift bei sich trug.«
Der sonst so beherrschte Ulke fuhr überrascht zurück, als er die Ähnlichkeit zwischen den blutigen Linien und dem Rad des Feuers erkannte. Leise Gebete murmelnd, sah er sich das Pergament von allen Seiten an und machte schon Anstalten, es angeekelt in den See zu werfen. Erst im letzten Moment wurde ihm klar, das ihm das nicht zustand.
Verdrossen reichte er es an Ursa zurück.
»Erschreckend, nicht wahr?«, fragte sie, unschlüssig, was sie selbst damit anfangen sollte.
»Du und dein Bruder, ihr seid etwas Besonderes«, eröffnete ihr Ulke. »Das ist mir schon lange klar. Bei Urok weiß ich nur nicht, ob er von Vuran gesegnet oder verflucht ist. Im Augenblick befürchte ich, dass er unser ganzes Volk ins Verderben stürzen könnte.«
Ursa fragte sich einen Augenblick lang, ob er das nur sagte, um sie zu verletzen. Dem nervösen Zucken seiner Wange nach plagten den Hohen aber tatsächlich unheilvolle Ahnungen.
»Warum messt Ihr Uroks Blutrausch so viel Bedeutung bei?«, fragte sie erschrocken. »Er wäre nicht der erste Jungkrieger, der unnötig gereizt wurde. Oder gibt es irgendwelche Hinweise, von denen nur die Hohen Hüter wissen?«
»Nichts Konkretes«, versuchte Ulke sie zu beruhigen. Nur um gleich darauf anzufügen: »Frag nicht weiter. Es gibt altes Wissen, das selbst deinen Verstand zerstören würde, sollte es dir jemand preisgeben.«
Ursa hatte schon öfter von mündlichen Überlieferungen gehört, die nur an Eingeweihte weitergegeben wurden, wusste aber auch, wie gern sich die Hohen Hüter damit wichtigmachten.
Seufzend sah sie ein letztes Mal auf das Pergament in ihrer Hand, dann warf sie es fort. Trudelnd pendelte das zerknitterte Blatt auf den Flammensee hinaus. Bereits drei Handbreit über der geschmolzenen Glut wurde es so heiß, dass das dünne Pergament sich auf einen Schlag entzündete. Ursa wollte schon den Blick abwenden, als sich die aufsteigenden Flammen unnatürlich zu winden begannen. Ganz so, als ob sie plötzlich zu eigenem Leben erwacht wären. Von einem Herzschlag auf den anderen umschlangen die Zungen einander, kreuzten sich auf sinnverwirrende Weise, bis aus ihnen ein merkwürdig wimmelndes Gebilde wurde, in dem sich die längste der Flammen um die anderen vier kreisförmig wand.
Ursa wurde unwillkürlich an Schlangen erinnert, die sich zu einer bizarren Kopfbedeckung verknoteten. Einer Art Schlangenkrone.
Schlangenkrone . Noch während ihr dieses Wort flüsternd durch den Kopf geisterte, verlöschte die Erscheinung so rasch, wie sie entstanden war. Ursa schüttelte den Kopf und sah zu Ulke hinüber.
»Was ist?«, fragte der Hohe, der ihre Talente nicht nur kannte, sondern auch
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