Blutportale
Scheinwerfer blieben ausgeschaltet. Im Inneren brannte ein schwaches Leselicht, in dessen Schein sie einen Mann erkannte, den sie auf vierzig Jahre schätzte. Die kurzen, blondgelben Haare saßen ohne erkennbare Frisur auf dem Kopf, er trug einen weißen Bademantel, und das Gesicht unter der halb nach hinten geschobenen Kapuze sah gut aus. Attraktiv und männlich. Der neugierigabschätzende Blick, der sie aus diesen Augen traf, erinnerte sie an den eines Wolfs oder eines anderen Raubtiers.
Im selben Moment wusste sie, dass es sich dabei um den Maitre handelte.
Dann war die Limousine vorbei und gab Gas, die Scheinwerfer flammten auf und schnitten blendende Schneisen in das diffuse Nachtlicht aus schwachen Elektrolaternen und den bunten Neonleuchten der Umgebung.
Saskia öffnete die Heckklappe und wuchtete die Tasche hinein, die mit einer Tonne Backsteinen beladen zu sein schien. »Jetzt weiß ich wenigstens, wie du aussiehst, Maitre«, sagte sie an der Klappe vorbei hinter dem Nobelwagen her, dessen Marke sie nicht kannte. »Beim nächsten Mal besiege ich dich«, versprach sie ihm und schloss den Kofferraum.
Sie fragte sich, wie viele Liftings er hatte machen lassen, um trotz seines Alters noch so jugendlich zu wirken, und dachte an das Symbol auf seinem Rücken, das ihm bis in den Nacken reichte. Anfangen konnte sie damit nichts. Ihr stand ohnehin nicht der Sinn danach, sich näher damit zu befassen.
Behutsam nahm sie hinter dem Lenkrad Platz und fuhr sachte los. Bloß kein Ruckeln oder Holpern auslösen, jede Erschütterung riss an den Klammern und Nähten.
Saskia würde nicht mehr im Bon Goût vorbeischauen. Sie wollte nach Hause, vielleicht ein Glas Wein gegen die Schmerzen trinken und schlafen. Je eher die Wunden verheilt waren, desto früher konnte sie mit dem Fechttraining beginnen.
Und sich die Revanche erstreiten.
31. Oktober
Deutschland, Hamburg, Speicherstadt
Der blonde Mann im seidenen Bademantel wies den Chauffeur aus dem Fond des silberfarbenen Chrysler 300C SRT8 an, langsam an der jungen Frau vorbeizufahren, die ihre große Tasche eben zu dem schäbigen Kombi zerrte.
Gehorsam drosselte der Fahrer die Geschwindigkeit und schaltete in den Leerlauf. Die weit über vierhundert Pferdestärken sorgten für ein sanftes Blubbern und ließen erahnen, mit welcher Kraft der SRT8 vorwärtspreschen konnte, wenn er durfte. Ein als Limousine getarnter Sportwagen.
Der Blonde starrte aus dem Fenster zu der jungen Frau und prüfte ihr Gesicht, jede einzelne Kontur. »Da geht sie, meine Herausforderin.« Er betrachtete voller Erregung das ansprechende Antlitz seiner Gegnerin, der er beinahe seine erste Niederlage seit Dekaden verdankte - wenn sie nicht zuvorkommenderweise aufgegeben hätte. Aber die Disqualifikation wäre es wert gewesen. Sie wandte den Kopf, und ihre Blicke trafen sich.
»Sie ist es!«, raunte der Blonde. »Sie ist es ohne Zweifel!« Aufgeregt und glücklich sank er in das Polster und schloss für einen Moment überwältigt die Augen. »Endlich.«
»Verzeihen Sie, dass ich nachfrage, aber sind Sie sich absolut sicher?«, kam es vom Sitz neben ihm.
Die Lippen des Blonden formten ein Lächeln, das gelöst wirkte. »Sicherer geht es nicht mehr. Wir standen uns gegenüber, so nahe, wie Sie mir gerade sind. Ihr Gesicht hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Für alle Zeiten. Und sie sieht immer noch so aus wie damals. Es wird also bald geschehen!«
»Sie haben lange darauf warten müssen?«
»Nach christlicher Zeitrechnung fünftausendsiebenhundertelf Jahre, zwei Monate, eine Woche und zwei Tage«, gab er zur Antwort, drehte sich um und sah zu der jungen Frau, die dem Chrysler an der Heckklappe vorbei nachblickte. »Ich habe sie gefunden«, flüsterte er. »Nach so vielen vergeblichen Versuchen habe ich sie gefunden.«
Der Chauffeur schaltete in den zweiten Gang und gab behutsam Gas, der SRT8 beschleunigte. Der Mann neben ihm bewegte sich, wie er am Stoffrascheln hörte. »Dann wird es Zeit, alles in die Wege zu leiten?«
»Ja, das wird es. Dringend!« Er wandte sich ruckartig nach vorn, als habe man einen Schalter betätigt, der ihn aus seiner Ruhe riss. Es war ein Energieschub sondergleichen. Er öffnete eine Klappe in der Rückwand des Beifahrersitzes vor sich und zog die Tastatur heraus. Augenblicklich erwachte ein kleiner Monitor in der Kopfstütze zum Leben, der eingebaute Computer war einsatzbereit.
Dieser Moment hatte nicht nur in den letzten Jahren seine Gedanken beherrscht,
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