Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutportale

Blutportale

Titel: Blutportale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
Vom Netzwerk:
sondern in den letzten Jahrhunderten: Vor fünfhundert Jahren hätte er Boten zu Pferde losgehetzt, vor einhundert Jahren Telegramme verschickt, bis vor wenigen Jahren hätte er telefoniert - nun konnte er ganz einfach eine E-Mail schicken. Er startete sein Netzwerk, das im Lauf der vielen Generationen immer größer und mächtiger geworden war, er hauchte ihm Leben ein, um das Ziel zu erreichen, nach dem er trachtete und dem er nie zuvor näher gewesen war. Rasch rief er das Mail-Programm auf und versandte eine Nachricht über den besonderen Verteiler. Damit erwachten einige Auserwählte aus ihrer Starre, die andere das »normale Leben« nannten. Mit dem Erhalt der Nachricht gab es für sie keinen Alltag, kein normales Leben mehr - und keine menschlichen Gesetze. Ein höheres Ziel wurde für sie maßgeblich und stand von dieser Sekunde an über allem.
    Glücklich verstaute der Blonde die Tastatur und nahm sich aus einer anderen Klappe eine Mineralwasserflasche, aus der er sich in ein Glas goss. Der Moment war gekommen, hatte neue Ereignisse ausgelöst. Das spürte und genoss er.
    Weder er noch sein Begleiter sprachen; beide sinnierten über das Kommende, das Unerwartete, das Wunder nach fünftausendsiebenhundertelf Jahren, zwei Monaten, einer Woche und zwei Tagen.
    Der SRT8 glitt nun mit sechzig Stundenkilometern durch die Speicherstadt. »Wohin darf ich Sie bringen, Herr Levantin?«, fragte der Chauffeur, ohne sich zu seinen Passagieren umzudrehen. »Mir ist nach Feiern.« Der Blonde sah zum Fenster hinaus und betrachtete die hohen Backsteingebäude. »Sankt Pauli.«
    »Sie wollen sich doch in einer Nacht wie heute nicht mit diesem Gesindel einlassen«, lehnte sein Nebenmann ab.
    Der Blonde lachte auf. »Sie meinen Unterprivilegierte? Sie irren, mein Freund. Der Kiez wird schon lange von Menschen aller Art bevölkert.«
    »Gesindel«, erwiderte der andere herablassend. »Das hat nichts mit dem sozialen Status zu tun.« Die gelblichen Augen des Blonden richteten sich auf die Passanten, an denen der Chrysler vorbeihuschte. Menschen. Niedere Kreaturen, insektenhafte Wunscherfüller, beliebig und austauschbar. Und doch waren einige davon liebenswert und erstaunlich klug, wenn man sich länger mit ihnen beschäftigte. Diejenigen, die er mochte, hatte er unterrichtet und sie erhöht, sie zu Führern gemacht. Andererseits waren sie jedoch nicht so liebenswert, dass man Fehler nicht mit dem Tode bestrafte. Sie blieben immer niedere Kreaturen.
    »Warum kein Gesindel, alter Freund? Es sind meine letzten Tage hier. Dann weiß ich wenigstens, was ich hinter mir lasse.« Er wies den Chauffeur an, ihn zuerst in die Hafen-City zu fahren, wo er seine Wohnung hatte, in der er sich umziehen wollte.
    »Ich warte hier auf Sie«, sagte sein Begleiter und öffnete die Minibar, »Herr Levantin.« Levantin stieg aus, betrat das Haus und fuhr mit dem Fahrstuhl, der ihn direkt in sein Appartement brachte, nach oben. Er streifte den weichen, glatten Bademantel ab, unter dem er bis auf einen schwarzen Slip nackt war. Die Wunden des Duells hatten sich bereits geschlossen und waren verschwunden. Gedankenverloren streifte sein Blick die Wände dieser Unterkunft, die erlesenen Bilder, die teure Einrichtung, luxuriös und komfortabel - und doch nicht im Ansatz das, was er ein Zuhause nennen würde. Eine saubere, aufgeräumte und gepflegte Durchgangsstation. Eine von vielen, die er in der Vergangenheit besessen hatte.
    Aus dem Kleiderschrank nahm Levantin schwarze Socken, ein weißes Hemd und einen eleganten dunkelgrauen Anzug. Nacheinander legte er die Sachen an; vervollständigt wurde das geschmackvolle Outfit durch eine nachtfarbene Krawatte aus reiner Seide. Die passenden Schuhe wählte er aus einer Vielzahl von Modellen aus, die unter den Sakkos akkurat aufgereiht standen. Dann kehrte er in den Wagen zurück.
    »Sehr elegant«, kommentierte sein Begleiter das Erscheinungsbild aus dem Dunkel des Fonds heraus, »wie immer.«
    Levantin lächelte seiner Reflexion auf dem Monitor zu, doch sie bewegte sich nicht, sondern wirkte tot und eingefroren. »Spieglein, Spieglein an der Wand - wer ist der Schönste, Beste, Schnellste im ganzen Land?«
    Die Spiegelung seines Gesichts formte mit den Lippen deutlich das Wort du.
    Levantin grinste, und sein Ebenbild tat es ihm dieses Mal nach, wie es sich gehörte. »Nette Spielerei«, sagte der Mann neben ihm.
    »Perfekt, um Menschen zu beeindrucken«, erklärte Levantin amüsiert. »Aber in der Tat nichts

Weitere Kostenlose Bücher