Blutportale
weiter als eine Spielerei. Die Zeit, in der die Spiegelbilder ihren eigenen Willen durchsetzen und die Menschen damit in den Wahnsinn treiben, kommt noch.« Er nahm ein Etui aus der Innentasche des Sakkos und holte eine graugetönte Brille hervor, die er auf seine schlanke Nase setzte.
Noch immer blieb sein Begleiter im Schatten. Die vorbeischnellenden Straßenlampen schienen sich zu weigern, ihn zu beleuchten, als er nun auflachte. »So, wie Sie es sagen, könnte man meinen, dass Sie wirklich glauben, dass so etwas irgendwann passiert.«
»Sie werden sehen, mein Bester. Und ich kann Ihnen dann nicht beistehen. Doch wenn Sie sich an meine Ratschläge halten, wird Ihnen nichts geschehen.« Levantin lehnte sich zur Seite und setzte sich bequemer hin. »Wie schnell können Sie die Frau finden?«
Das Display des Mobiltelefons des anderen leuchtete auf, schien in einer behandschuhten Hand zu ihm herüberzuschweben, und Levantin erkannte die Züge der Frau, mit der er vorhin die Klingen gekreuzt hatte. Das Bild war nicht alt und offensichtlich vor dem Kampf in der Speicherstadt aufgenommen worden. »Saskia Lange. Ihre Adresse haben wir. Es sollte keine Schwierigkeit für uns bedeuten, sie abzugreifen.« Der Konturenmann atmete tief ein. »Es müsste bald so weit sein. Ich habe die Verletzungen gesehen.«
»Lassen Sie unsere kleine Freundin in der Zwischenzeit überwachen.«
Der Mann hob sein Handy, wählte eine Nummer und führte gleich darauf eine Unterhaltung. Weitere Rädchen setzten sich in Bewegung.
Levantin betrachtete sich in der Scheibe und fand, dass er gut aussah. So gut, wie es menschliche Vierzigjährige tun konnten. Allerdings hatte er schon immer diese Gestalt getragen. Unverändert, von Geburt an. Geburt nicht im klassischen Sinn. Nicht im menschlichen Sinn.
Sein Spiegelbild hatte nicht gelogen: Keine Spur von Alterung, kein Hinweis auf die vielen Jahrhunderte, die auf seinen Schultern ruhten und ihn doch nicht nach unten gedrückt hatten. Ganz im Gegenteil.
In den Jahrtausenden, die er unter dieser Sonne verbracht hatte, hatte er sich mehr Wissen angeeignet, als nötig wäre, um eine Bibliothek zu füllen. Und doch nutzte es ihm nichts. Nichts ohne die Frau, die von heute an nicht mehr zu den niederen Kreaturen zählte. Sie hatte die Weihe erhalten, ein Geschenk, das mehr bedeutete als eine simple Gabe.
IV.KAPITEL
3. November
Deutschland, Hamburg, Reesendamm
Mira Hansen saß unter einem Sonnenschirm und genoss einen Cappuccino mit Amaretto.
In ihrer Nähe plätscherte die Alster durch das Wehr und schuf ein beinahe schon mediterranes Flair. Es war ein sonniger, angenehmer Spälherbsttag. Nur die Tatsache, dass sie von fünf Männern abgeschirmt wurde, konnte eventuell erahnen lassen, dass es sich bei ihr nicht um eine ganz normale Müßiggängerin handeile. Trotzdem würde ein flüchtiger Betrachter nicht sofort bemerken, dass Hansen und ihre Begleiter kugelsichere Westen trugen; die Männer waren außerdem mit Pistolen und Tasern bewaffnet.
Bei aller Entspannung kam Mira Hansen nicht umhin, sich über die erzwungene Untätigkeit zu ärgern. Solange sich Gul nicht meldete und auf ihr Angebot einging, konnten sie nichts machen. Hansen beschloss, die Taktik zu ändern. Die Demolierung seines Fadens hatte seinen Widerstand geweckt, nicht gebrochen. Alles geriet ins Stocken. Durfte sie ihm eine Prise Wahrheit gönnen, um ihn zu überzeugen und das Schlimmste zu verhindern? Die fünf Männer um sie herum waren ausländische Söldner; zwei von ihnen stammten aus Osteuropa, die anderen konnte sie nicht einordnen. Nur einer von ihnen, der sich als Mike vorgestellt hatte, sprach Deutsch ohne Akzent. Von ihm erfuhr sie, dass die Männer sich im Irak kennengelernt hatten, ihnen das Pflaster dort aber zu heiß geworden war; nun wollten sie als Team ungefährlichere Jobs übernehmen. Hansen wusste, dass dieser Job nicht in diese Kategorie fiel. Das konnten die Männer nicht ahnen.
Chris, der Größte von ihnen, schien - seinen kindischen Bemerkungen nach zu urteilen - sein Hirn gegen noch ein paar eindrucksvollere Muskeln mehr ausgetauscht zu haben. Wenn sich die Söldner unterhielten, herrschte ein rauher Ton, meistens militärisch kurz. Mehr als einmal war Chris das Ziel ihrer Spötteleien, doch er ertrug es schweigend. Sein Sold ließ ihn die Würde vergessen, auch wenn seine dicken Oberarme ab und an drohend zuckten.
Hansen nippte an der Tasse und wünschte sich seufzend weniger Komplikationen in
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