Blutportale
emporschössen. Darin trieben gewaltige Blasen aus rotgefärbtem Quecksilber, in denen Menschenleiber schwammen. Hände griffen heraus, Gesichter zeichneten sich an der Oberfläche ab, doch sie hatten die Münder nicht aufgerissen, um vor Schmerzen zu schreien. Will schauderte: Die vermeintlich Unglücklichen befanden sich in einem Zustand größter Ekstase. Arme reckten sich ihm entgegen, und Will erschien es, als wollten sie ihn anlocken, ein Teil dieser wogenden Masse zu werden. Zu seinem eigenen Entsetzen spürte er auf einmal den tiefen Wunsch, zu ihnen zu gelangen, aufzugehen in dieser brodelnden Glückseligkeit. Gegen seinen Willen machte Will einen Schritt nach vorne - und sah, dass die Menschenleiber immer, wenn die Flammen sie berührten, aufloderten und zu Staub verbrannten, der zu den aufgepeitschten Wolken am Himmel stieg. Nun erkannte er auch monströse schwarzrote Schemen, die um die Sphären kreisten und mit langen Dornenschwänzen hineinschlugen. Die Leiber, die getroffen wurden, schnellten aus dem orgastischen Kreis heraus. Andere Wesen schnellten aus der Dunkelheit hervor, schlugen ihre Zähne in die schutzlosen Körper und verschlangen sie; doch trotzdem klangen die Schreie, die Will zu hören meinte, nicht im Mindesten nach Schmerzen. Ihm wurde wieder übel. »Bei den Avataren Shivas!«, krächzte er. Doch sosehr er sich anstrengte, er konnte seinen Blick nicht abwenden. Etwas Derartiges hatte er sich niemals vorstellen, geschweige denn einbilden können! Keiner seiner Alpträume wurde dem gerecht. Es war ein ungekannter Horror, der auf seine verstörende Art sogar den Anblick der Toten in der Villa übertraf. Unbegreiflich, erschütternd und dabei doch auf eine düstere Art anziehend, die ihm den Verstand zu zerreißen drohte.
Will schien innerlich zu erfrieren, als sich eines der Schattenwesen in seine Richtung wandte. Schreckliche weiße Augen schimmerten ihn an, und dann stieß es ein Heulen aus, das ihn zum Zittern brachte - vor Angst, vor Entsetzen.
Saskia ächzte und brach zusammen. Die pulsierenden roten Ränder der Spalte begannen sofort, sich zu schließen.
Will atmete auf; die Männer hinter ihm hatte er gänzlich verdrängt. Wichtiger war, dass keines dieser Wesen es in ihre Welt schaffte. Diesen Kreaturen hatten sie nichts entgegenzusetzen! Aus der Spalte war wieder ein schmaler Riss geworden, hinter dem Will in schneller Reihenfolge Bilder aufstrahlen sah, die ihm andere Welten zeigten, ohne dass er sie erkennen konnte; er war dankbar dafür. Nur noch wenige Augenblicke, dann war der Spalt geschlossen. Doch genau in diesem letzten Moment flog ein Körper durch die Lücke und stürzte zwischen Will und Saskia auf den Asphalt. Zischend schloss sich das Portal und ließ nichts zurück, als hätte es niemals existiert. Lediglich die nackte Frau mit den nackenlangen blonden Haaren war als Beweis dafür geblieben, dass sich Will die Ereignisse nicht nur eingebildet hatte. Sie hatte eine tiefe Wunde in der linken Seite, aus der Blut floss, und ihre Haut war mit einem dünnen, orangefarbenen, silbrigen Film überzogen. Aus welcher der Sphären, die Will gesehen hatte, mochte sie gekommen sein?
Unschlüssig sah er hin und her. Er wusste nicht, wem er zuerst helfen sollte, Saskia oder der Unbekannten.
»Habt ihr das gesehen?«, jubelte einer der Maskierten. »Alles, was die Prophezeiungen uns versprechen, kann wahr werden, und ...«
»Steig ein und ruf Valesca an«, lautete der knappe Befehl des anderen, der nun auf Will zukam, eine Pistole in der Rechten. »Du - los! Bring die Frau in den Transporter.«
»Welche?«, stellte Will sich begriffsstutzig, um Zeit zu gewinnen.
Der Maskierte richtete die Mündung auf die Nackte - und drückte dreimal rasch hintereinander ab, die Kugeln schlugen durch ihren Hinterkopf. »Die andere. Los, mach schon! Oder ich trage sie selbst.« Die Waffe schwenkte auf ihn. »Dann brauchte ich dich allerdings nicht mehr.« Will machte einen zitternden Schritt über die Tote hinweg und beugte sich über Saskia. Dabei bemerkte er verblüfft, dass sich die Wunde in der Seite der Nackten soeben mit einem leisen, feuchten Laut schloss. Das war unmöglich ... eigentlich. Aber er hatte es aufgegeben, für irgendwas von dem, das gerade um ihn herum geschah, nach einer logischen Erklärung zu suchen.
Er hob Saskia auf, was ihm wegen seiner verrücktspielenden Muskeln nicht ohne weiteres gelingen wollte. Als er ein leises Klirren hörte, blickte er verstohlen zu der
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