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Blutportale

Blutportale

Titel: Blutportale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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behaart, um ihm zu gehören! Erschrocken wollte er zurückweichen - und musste feststellen, dass er keinerlei Kontrolle über seinen Körper besaß. Ihm wurde übel, als er merkte, was hier nicht stimmte: Er steckte in einem fremden Körper! Will sah, was der Unbekannte sah, er fühlte, roch und schmeckte wie er - doch er war erneut dazu verdammt, ein hilfloser Beobachter zu sein. Nur dass er diesmal nicht über der Stadt schwebte, sondern sich in einem Gefängnis aus Fleisch und Knochen befand.
    Der Mann machte zwei Schritte zur Seite, raus aus den dichtesten Schwaden, und stieß gegen eine Brüstung. Wenige Meter unter ihm schwappten Wellen gluckernd gegen die Einfassungen eines schmalen Kanals, auf dem eine Lastengondel vorbeizog. Eine Gondel, auf der sich nackte Leichen stapelten und das Gefährt mit ihrem Gewicht beinahe unter Wasser drückten. Der Mann, der sie stakte, trug auf seiner Kleidung ein schwarzes Kreuz und vor dem Gesicht eine der Schnabelmasken, die Will schon zuvor gesehen hatte. Anscheinend dachten die Menschen, sich mit Lavendel und anderen Kräutern vor der Pest schützen zu können.
    Es war sehr kalt, und durch die Gassen, in denen die ätzenden Rauchwolken hingen - mal dicht, mal kaum sichtbar, aber immer gegenwärtig -, pfiff ein kalter Wind, der einen anderen, nicht minder ekelhaften Geruch mit sich trug: den von verbranntem Fleisch. Will erinnerte sich an die großen Feuer, die er auf der Insel gesehen hatte, und musste würgen; dem Mann, in dem er steckte, ging es nicht anders.
    Während sich langsam und unheimlich eine zweite Gondel aus dem Dunst schob, hörte Will ein Rufen hinter sich. Wenig später packte eine Hand seinen Ärmel und zerrte ihn nach vorn. Jemand redete mit ihm, doch er verstand kein Wort.
    Dennoch konnte Will - beziehungsweise derjenige, in dessen Körper er steckte - nicht anders: Er folgte der Aufforderung, lief die kleine Brücke hinab und stand plötzlich vor einer Trage, auf der die nackte Leiche einer jungen Frau lag.
    Mehr und mehr gewöhnte er sich an die Umgebung und nahm sie besser wahr. Auch er trug diese Schnabelmaske, und als sein Wirt die Hände abwischte und dabei an sich hinabschaute, was mit der langen eisernen Nase nicht so einfach war, erkannte Will ein sackähnliches Gewand mit einem roten Kreuz auf der Brust. Er gehörte zu den Totenträgern.
    Ein Mann in identischer Kleidung stand vor ihm; er war es wohl gewesen, der ihn von der Brücke gezerrt hatte. Neben der Toten kniete ein weiterer Mann mit einem hohen schwarzen Hut und einem langen Mantel. Als könne er die Gedanken seines Wirtes lesen, wusste Will, dass er einen Medikus vor sich sah. Langsam begannen die ersten italienischen Satzfetzen einen Sinn für ihn zu ergeben, er verstand einzelne Wörter, Ortsangaben.
    Der Medikus spreizte die Schenkel der Verstorbenen und tastete die Innenseite ab. Die behandschuhten Finger wanderten fachkundig aufwärts in die Leisten und fuhren über die Beulen. Danach schob er die Arme der Toten nach oben und entdeckte weitere Geschwüre, die sich noch nicht geöffnet hatten. »Die Zeichen sind eindeutig«, verkündete er undeutlich hinter der Maske hervor. Dann rief er, so laut es ihm möglich war: »Anwohner, aufmachen!« Hätte Will Kontrolle über den Körper besessen, in dem er steckte, wäre er vor Überraschung zusammengezuckt: Er verstand die fremde Sprache plötzlich!
    »Die Pest ist im Haus. Öffnet! Ich muss euch untersuchen.« Der Medikus trat an den kleinen Karren, auf dem allerlei Utensilien lagerten, von medizinischen Geräten bis zu mehreren Eimern, Räucherpfannen, Balken, Nägeln und Werkzeug. Von drinnen erklangen erschrockene Rufe und das Weinen mehrerer Frauen.
    Will sah ein verräuchertes Straßengewirr um sich herum und überlegte, wo er sich befand. Er hörte seinen Wirt zu dem Begleiter sagen: »Wo sind wir?«
    Der sah ihn verblüfft an. »Was?«
    Will stockte, versuchte, den Arm zu heben - und er gehorchte ihm! Wie auch immer er es erreicht hatte, er besaß nun die Kontrolle über diesen Körper. Seine Verwunderung überspielend, zeigte er auf den Rauch. »Ich muss zu lange im Qualm gestanden haben. Der Schwefel hat mich verwirrt.«
    »Scheint so, Giuseppe«, bekam er zur Antwort. »Wir sind schon lange unterwegs heute.« Will hob versuchsweise den Fuß und drehte den Kopf. Es fühlte sich schwerfällig an, als sei er noch schlaftrunken, doch es gelang ihm. »Wie lange geht das schon so?«
    »Bei den Heiligen, hast du gesoffen?« Sein

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