Blutportale
Sie haben meine Spur aufgenommen«, röchelte der Unbekannte und ließ Wills Bein los. »Lauf, Giuseppe! Riva del Carbon, rasch!«
Will starrte in den Nebel, mit dem eine Veränderung vonstattenging: Er schien sich zu verdichten und sich langsamer und träger zu bewegen, als gerinne er zu etwas Festem. Der perfekte Schutz für einen hinterhältigen Angriff! Ein langgezogenes Heulen erklang - und inmitten des dichten Graus flammte ein Paar rubinfarbener Augen auf. Ein schwarzer Schatten flog aus dem Dunst heran.
Will wartete nicht, bis er genau erkennen konnte, was ihm ans Leben wollte. Er packte die Kassette, sprang über den Maskierten und rannte die Gasse entlang, während hinter ihm das heisere, drohende Brüllen eines Raubtiers erklang. Dann schrie jemand schrill auf. Will sah im Laufen über die Schulter. Ein riesiger schwarzer Hund oder etwas Ähnliches zerbiss den Hals des Maskierten, zerrte daran und riss ihn auseinander. Gleichzeitig tauchten zwei weitere Tiere aufjagten an ihrem fressenden Artgenossen vorbei - und hielten auf Will zu! Er rannte weiter, so schnell, wie es ging, hörte hinter sich ein Hecheln, versuchte verzweifelt, schneller zu werden - und stürzte! Will fiel nach vorne, ein Schrei entrang sich seiner Kehle, und ...
8. November
Deutschland, Hamburg
Justine musste hart auf die Bremse steigen, damit sie den Polizeibeamten in der dunkelblauen Uniform, der auf dem Kiesweg stand, nicht überfuhr. Sichtlich bleich umrundete er den Jeep und leuchtete mit der Taschenlampe in den Innenraum.
Will war benommen; er blinzelte in das helle Licht und hätte sich am liebsten übergeben. Die Gegenwart hatte ihn wieder! Er wollte etwas sagen, aber seine Sinne waren noch zu verwirrt, der Mund klappte einfach auf und zu.
»Wir warten hier auf Kommissar Kapler«, sagte Saskia laut, damit sich der Polizist auf sie anstatt auf die Französin konzentrierte. »Mein Name ist Saskia Lange, das dahinten ist Will Gul - man erwartet uns bereits.« Sie hielt ihm ihren Ausweis hin. »Meine Bekannte hier hat sich bereit erklärt, uns zu fahren. Wir wollten so schnell wie möglich kommen, um Ihre Ermittlungen nicht unnötig aufzuhalten. Bitte entschuldigen Sie, wenn wir ... etwas stürmisch hereingeprescht sind.«
Der Polizist betrachtete die Plastikkarte, dann warf er Justine einen strafenden Blick zu. »Fahren Sie langsam weiter, und parken Sie vor dem Rondell.«
Justine lächelte - und fuhr mit so viel Gas an, dass ein Kiesschauer gegen den Mann prasselte. An den Bewegungen der Taschenlampe erkannte Will durch die Rückscheibe, dass der Polizeibeamte eindeutige Gesten machte.
Als Kapler davon gesprochen hatte, ihnen eine Streife zu schicken, hatte er ihnen verschwiegen, dass beim Haus noch etwa dreißig Beamte der Spurensicherung damit beschäftigt waren, das Anwesen auf den Kopf zu stellen. »Wie kommen wir denn jetzt in die Kammer?«, grübelte Saskia und ärgerte sich, dass sie daran nicht selbst gedacht hatte: Tatortsicherung, Beweisaufnahme, das ganze kriminaltechnische Programm kannte man doch aus dem Fernsehen. »Die werden uns das niemals erlauben.«
»Wir lassen uns etwas einfallen«, beschwichtigte Justine und drosch den Geländewagen die Auffahrt entlang, um ihn mit einem gekonnten Sidedrift neben einem Polizeitransporter zu parken. Wieder hagelte es Steinchen. Sie blickte auf die Villa. »Sagte ich schon wow?« »Sagt man das als Werwölfin nicht andauernd?«, meinte Saskia trocken. Will lachte, und auch Justine warf ihr einen erheiterten Blick zu.
»Verzeihung, aber ich ... bin schrecklich aufgeregt«, entschuldigte sich Saskia. »Kein Grund, sich zu entschuldigen. Glaub mir - wenn man es mit dem Übernatürlichen zu tun bekommt, hilft nichts so gut wie ein bisschen Humor.« Justine stieg aus; Will und Saskia folgten ihr.
Sie steuerten auf den Eingang zu und blieben vor dem Trassierband stehen, bis sich ihnen ein Polizist näherte und grüßend die Hand an den Schirm legte. Das Auffälligste an ihm war der große, blond gefärbte Schnauzbart. Er trug eine schusssichere Weste und eine Maschinenpistole mit dem Gurt über der Schulter. »Guten Morgen. Frau Lange, Herr Gul, richtig? Mein Name ist Dottke. Kriminalkommissar Kapler schickt mich und drei Kollegen zu Ihrem Schutz. Ich soll Sie umgehend zur Wache bringen.«
»Danke«, sagte Will und schlüpfte unter dem grün-weißen Band hindurch. »Ich müsste aber noch mal rein, um mein Satellitentelefon zu holen und den Besitzer des Hauses anzurufen.
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