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Blutportale

Blutportale

Titel: Blutportale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Begleiter sah ihn böse an. »Woher hast du das Geld?« Als er keine Antwort bekam, spuckte er aus und packte die Bahre an den Griffen. »Nun mach schon! Wir werden nicht fürs Rumstehen bezahlt.«
    Sie trugen die Tote zum Kanal, wo eine Gondel auf sie wartete. Beinahe achtlos warfen sie die Frauenleiche zu den Übrigen, danach noch ein Bündel fleckiger Wäsche und benutzter Laken. Als sie zurückkamen, öffnete sich die Haustür, der Medikus trat als Erster hinein und rief seine Helfer zu sich. Will sah, wie sich zwei ältere Frauen im Schein der Blendlaterne, die der Medikus auf sie richtete, entblößten. Auch sie wurden von ihm akribisch untersucht; zu Wills Erleichterung trugen sie die offensichtlichen Zeichen der Pest noch nicht.
    »Ihr werdet mit Franco mitgehen.« Der Medikus deutete auf Wills Begleiter. »Packt eure Habseligkeiten, er wird euch zur Fähre bringen, die zum Lazzaretto Nuovo übersetzt. Dort bleibt ihr, bis sich zeigt, ob ihr der Pest anheimgefallen seid, verstanden? Eine Flucht nützt euch nichts. Wer sich den Anweisungen des Magistrats widersetzt, wird gehängt«, leierte er herunter, als habe er es schon sehr oft sagen müssen. Die Frauen weinten und nickten gleichzeitig. »Giuseppe?«
    »Ja?« Will wandte sich dem Arzt zu.
    »Räuchere das Haus aus, danach verbarrikadiere es. Wenn du den Karren zu mir gebracht hast, kannst du nach Hause gehen. Für heute ist es genug. Wir sehen uns morgen wieder, bei Sonnenaufgang.« Der Medikus schaute zu den Frauen, die sich wieder ankleideten und die Treppe zum ersten Stock hinaufgingen. Sein Blick wurde milde. »Möge Gott ihnen beistehen und sie verschonen, wie er uns verschont.«
    »Es sind die Juden«, sagte Franco voller Hass. »Ich habe gehört, dass sie kaum einen Todesfall in ihrem Viertel haben. Das geht nicht mit rechten Dingen zu, sage ich! Sie haben uns die Seuche gebracht, um die Stadt zu übernehmen.«
    Der Medikus funkelte ihn böse an. »Das ist Unsinn, Franco. Sie sind hier genauso gefangen wie wir.«
    »Wie meint Ihr das?«, erkundigte Will sich.
    Der Medikus wandte sich zu ihm um. »Giuseppe, fühlst du dich nicht gut? Jeder weiß, dass die Stadt abgeriegelt ist und die Kriegsschiffe jedes Boot versenken, das über die Marke hinwegfährt.«
    »Und wer ist es dann gewesen?«, fragte Franco wütend. »Es ist doch bekannt, dass sie ...« »Wirst du wohl aufhören mit diesem dummen Gerede! Die Ratten sind schuld, wer sonst? Die Ratten von den Schiffen, die aus Indien kommen. Dort ist die Pest doch überall - so wie in dieser Stadt die Diebe!« Der Medikus schüttelte wütend den Kopf und gab Franco mit einer energischen Handbewegung zu verstehen, die Vase, die er an sich genommen hatte, wieder hinzustellen. »Du Tor bist auf das Geschwätz derer hereingefallen, die alles besser wissen. Einmal waren es die Türken, dann die Spanier, dann die Deutschen, dann wiederum haben die Bettler von auswärts die Pest eingeschleppt. Und die Juden. Die sind es immer, egal bei welchem Unglück. Jeder weiß es besser, aber keiner glaubt an das Offensichtliche. Die Dulcissima hat die Pest schon mehr als einmal überlebt.« Er schwieg einen Moment und sagte nachdenklich: »Auch wenn es noch nie so schlimm war wie dieses Mal. Man zählt täglich fünfhundert Tote, von den Palazzi von San Marco und San Polo bis in die Häuser entlang des Rio Marin oder Castello und Cannaregio.«
    Will erinnerte sich schaudernd an die Insel mit den Feuern und den Massengräbern. Der Medikus schritt zum Ausgang. »Der Magistrat rechnet mit fünfzehntausend Toten, wenn der November vorüber ist. Und was noch schlimmer ist: Noch ist kein Ende abzusehen.« »Sie haben sogar die Bordelle geschlossen«, sagte Franco missmutig. »Und meine Kneipe. Venedig liegt wie tot da. Wie die Pestkranken auf dem Lager.« Er bekreuzigte sich. »Herr, steh mir bei!«
    Will sah die Frauen die Treppe hinunterkommen, beladen mit jeweils zwei Taschen, in denen sie ihre Kleidung und vermutlich ihre wenigen Wertgegenstände verwahrten. Franco geleitete sie zur Tür hinaus. Bevor der Medikus ebenfalls in den stinkenden Nebel trat, sagte er: »Giuseppe, du weißt, was zu tun ist. Räuchere das Haus aus, verbarrikadiere es und vergiss den Anschlag nicht.«
    Will blieb allein zurück. »Was soll ich hier?«, murmelte er. Seine behandschuhten Hände fuhren über die Möbel und Türrahmen, den schimmeligen Putz an der Wand; er wartete darauf, dass sie durchlässig wurden, wie man es von Traumgebilden

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