Blutprinz (German Edition)
durch Gedankenübertragung in den Körper des Halbblüters strömte, gaben die Beine des Mannes nach und er fiel wie eine Marionette in sich zusammen. Wässriges Blut floss aus Nase und Ohren und besiegelte das Ende des Kampfes. André löste die Verbindung, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Kerl noch lebte.
Er eilte zu Natalie, ging in die Hocke, wischte ihr Haar beiseite und tastete nach ihrem Puls. Sie lebte. Erleichtert atmete er auf, schaute kurz zu den Schurken, die im Augenblick keine Gefahr mehr darstellten. Noch einmal versuchte er in die Gedanken des Anführers einzudringen. Diesmal sah er einen schwarzen Schemen, wie eine formlose Kreatur aus Rauch und Nebel, die mit leisem Keuchen befahl, André Barov zu beschatten.
2.
Wien, 21. April 2007
N atalie betrachtete das Gesicht ihrer Mutter, den tröstenden Blick, und sah das sanfte Lächeln auf den vollen, roten Lippen. Mama summte eine beruhigende Melodie, während sie mit einem nassen Wattebausch die Wunden an Natalies Knien und Ellbogen reinigte, die sie sich als Achtjährige bei einem Sturz mit dem Fahrrad zugezogen hatte. Natalie wusste, dass sie nur träumte und ihre längst verstorbene Mutter einer Erinnerung aus ihrem Unterbewusstsein entsprang. Trotzdem verspürte sie ein Gefühl von Geborgenheit, das jedoch viel zu schnell wieder verblasste. Der Traum wich hellen Sonnenstrahlen, die sich wie ein wärmendes Tuch über ihr Gesicht legten. Sie brauchte einen Moment, bis sie begriff, dass sie nicht mehr träumte, sondern ihre Augen geöffnet hatte und auf eine hoch über ihr liegende Zimmerdecke mit weiß gekalkten, sternförmigen Stuckarbeiten blickte. Im Zentrum dieses Reliefgestirns hing ein prachtvoller Kristalllüster an einem schmiedeeisernen Haken. Die geschliffenen Kristalle wirkten wie zu Eis erstarrte Wassertropfen, in denen sich das Sonnenlicht brach.
Da sie überfallen und niedergeschlagen worden war, hätte Natalie eher erwartet, auf der Straße oder in einem Krankenhaus zu erwachen. Stattdessen lag sie in weiche, duftende Kissen und Decken gebettet in diesem zauberhaften Zimmer.
Die Sonnenstrahlen, die Natalie wach gekitzelt hatten, fielen durch zwei hohe Fenster hinter ihrem Bett in den Raum und dahinter sah man den wolkenlosen Himmel. Handgearbeitete Möbel aus Kirsch- und Nussholz zierten das großzügig bemessene Zimmer. Das Doppelbett war aus Edelhölzern gefertigt und sicher ein kleines Vermögen wert.
Sie hob die Bettdecke an, schaute an sich herab. Jemand hatte ihr die Kleider bis auf die Unterwäsche ausgezogen und ihre Haut mit etwas eingerieben, das nach ätherischen Ölen roch. Welchen Zweck die Tinktur auch immer erfüllen sollte, sie schien dafür verantwortlich sein, dass Natalie trotz Blutergüssen und Abschürfungen kaum körperliche Schmerzen verspürte. Jedoch wirkte das stark aromatische Mittel nicht gegen die psychischen Wunden. Während Natalie ihre Blessuren betrachtete, breitete sich ein Gefühl von Panik in ihr aus. Sie glaubte, noch einmal die Schläge und Tritte zu spüren, mit denen die Angreifer sie zu Boden gestreckt hatten. Natürlich fragte sie sich, ob der vermeintlich sichere Anblick dieses Zimmers nicht nur trügerischer Schein war. Sie konnte sich nicht erklären, wie sie hierher gekommen war, und hoffte, dass wer immer sie hierher gebracht hatte, nichts Böses im Schilde führte.
Ein verschwommenes Bild tauchte in ihren Gedanken auf, formte den Umriss jener hoch gewachsenen Gestalt, die ihr zu Hilfe gekommen war. Sie hatte das Gesicht nicht erkannt und konnte nicht sagen, ob es ein Mann oder eine Frau gewesen war. Aufkeimende Neugier verdrängte die Furcht. Entschlossen warf sie die Bettdecke zurück und trat auf den Perserteppich, der den Boden des Zimmers bedeckte. Ihre Kleidung fand sie fein säuberlich zusammengelegt auf einem Lehnstuhl. An einem Kleiderhaken neben dem Stuhl hingen ein weißer Morgenmantel und ihre schwarze Handtasche. Der Anblick ihrer Habseligkeiten bestärkte sie in ihrer Hoffnung, dass von diesem Ort keine Gefahr ausging.
Sie nahm die Tasche und untersuchte den Inhalt. Geldbörse, Handy, Reisepass waren noch da. Was die drei Männer von ihr auch gewollt hatten, ihre Wertgegenstände schienen es nicht gewesen zu sein. Es sei denn, dem unbekannten Retter war es gelungen, die Männer in die Flucht zu schlagen, bevor diese Zeit hatten, sie auszurauben. Sie pickte zwei Gummibärchen aus der Tüte und blickte auf das Handydisplay. Es war kurz vor neun. Tina
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