Blutprinz (German Edition)
durch einen Spalt Bücherregale erspähte.
„Setzen Sie sich doch“, bot André ihr an, deutete auf ein leeres Gedeck gegenüber seines Platzes und schob den Stuhl ein Stück zurück. „Sie haben doch sicher Hunger.“
„Mich würde eher interessieren, was genau passiert ist.“
„Ein Überfall …“, sagte André, mit einem Klang in der Stimme, als geschehe so etwas jede Nacht.
„Nachdem ich ohnmächtig geworden bin“, korrigierte Natalie ihre Frage. „Dann waren Sie das also …?“
„Der Sie überfallen hat?“
„Nein, mein Retter.“
André zuckte mit den Schultern. „Ich hoffe, diese Kerle haben Ihnen nicht allzu sehr wehgetan.“
„Ich lebe noch.“ Natalie strich erneut mit den Fingern durch ihr Haar, schüttelte ihre Locken auf und nahm schließlich Andrés Einladung an.
Er schob ihr den Stuhl zurecht, als sie sich setzte. Ihre Schulterblätter berührten dabei seine Hände. Ein angenehmes Kribbeln lief über ihren Rücken und sie wünschte sich für einen Moment, dass es mehr als nur eine zufällige Berührung war.
„Was haben Sie auf meine Wunden getan? Eine Heilsalbe?“, fragte sie.
„Ein altes Hausmittel aus Spinnenaugen, Fledermauszungen, etwas Öl und getrocknetem Fliegenpilz.“
André verzog keine Miene. Natalie betrachtete entsetzt ihre Haut, merkte dann aber, dass er sie auf den Arm nahm. Im Moment konnte sie solchen Späßen nur wenig abgewinnen. Die Erinnerung an den Überfall war noch zu frisch.
„Es sind einige Kräuter und ätherische Öle“, sagte er schließlich und warf ihr einen versöhnlichen Blick zu.
„Und was ist mit diesen Kerlen passiert? Haben Sie die Polizei gerufen?“
„Keine Sorge“, sagte er. „Sie werden ihre Strafe bekommen.“
„Wie können Sie dabei so gelassen bleiben?“, fragte sie etwas ungehalten, doch als ein Schatten über Andrés Gesicht huschte, bereute sie die Heftigkeit, mit der sie die Frage gestellt hatte. Immerhin hatte er ihr das Leben gerettet, auch wenn er sich benahm, als wäre so ein Überfall die alltäglichste Sache der Welt.
„Sie dürfen ruhig zugreifen“, sagte André und deutete auf den Teller, der darauf wartete, mit Gebäckkrümeln bedeckt zu werden. Trotz ihrer Aufregung erinnerte ihr Magen mit protestierendem Knurren daran, dass sie, abgesehen von ein paar Schinkenschnittchen, einen ganzen Tag kaum etwas gegessen hatte. Der Tisch war reichlich gedeckt, mit einem großen Brotkorb, verschiedenen Marmeladen und Honigsorten, einem Obstteller, Butter und einem Krug Orangensaft.
„Möchten Sie Kaffee oder Tee oder etwas anderes?“, fragte André. „Milch kann ich Ihnen leider keine anbieten.“
„Tee wäre fein.“
Er holte eine Kanne dampfend heißes Wasser, so als habe er ihre Entscheidung vorausgeahnt. Danach brachte er ein hölzernes Drehgestell, auf dem zwölf Blechdöschen mit unterschiedlichen Teesorten standen.
„Warum haben Sie nicht auf mich gewartet gestern abend?“
Natalie nahm sich ein nach Kräutern duftendes Teesäckchen aus einer Dose. „Weil ich dachte …“, begann sie, legte den Beutel in die Tasse und goss heißes Wasser darüber.
„… dass ich nicht wiederkommen würde?“, führte André den Satz zu Ende.
„Ja, das dachte ich.“
„Es war unhöflich von mir, Sie so lange warten zu lassen, ich weiß. Aber der Anruf hat leider länger gedauert.“
„Schon gut.“ Natalie trank einen Schluck Tee. Eine angenehme Wärme breitete sich in ihrer Brust aus. „Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen.“
„Wenn ich nicht gegangen wäre … dann wäre das vermutlich nicht passiert.“
„Haben Sie eine Ahnung, was die Kerle von mir wollten? In meiner Handtasche fehlt nichts.“ Es behagte ihr nicht, dass er sich die Schuld dafür gab. Hätte sie sich nicht benommen wie eine launische Zicke, wäre es ganz sicher nicht passiert.
„Nun ja, Sie sind eine attraktive Frau.“
„Dankeschön.“ Einen Moment schaute sie ihm tief in seine schokoladenfarbenen Augen und glaubte, ein leises Knurren zu hören als er ausatmete. „Der Kerl im Anzug war auf der Feier. Ich habe ihn gesehen.“
„Tatsächlich?“
„Also frage ich mich, was er mit den beiden Punks zu schaffen hatte.“
André zuckte mit den Schultern. „Diese Frage kann ich Ihnen leider nicht beantworten. Ich habe lediglich Ihren Schrei gehört und bin zu Hilfe geeilt. Da fällt mir ein, ich muss in Kürze zu einem Termin. Aber Sie können gern noch bleiben und sich ein wenig erholen.“
„Ich weiß nicht.“ Sie
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