Blutrose
wunderschönen Ausblick«, sagte Tamar.
»Sie mögen dieses Wetter nicht?« Clare wuchtete bereits ihren Koffer aus dem Auto.
»Ich hasse es. Ich bin in der Sonne aufgewachsen, mir bohrt sich diese Kälte ins Mark.«
»Wie kommt es, dass Sie hier stationiert wurden?«, fragte Clare.
»Ich habe mich hierher beworben.« Tamar kramte in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln. »Meine Schwester brauchte Hilfe, bevor sie starb, und bei der Polizei gibt es jede Menge Möglichkeiten der Beförderung.«
»Und Ihr Mann?«
Tamara strich mit der Hand über ihren runden Bauch. »Für das Kleine hier gibt es nur mich.« Ihr Tonfall verbot jede weitere Frage.
»Vor der Autopsie morgen Vormittag würde ich gern sehen, wo Kaiser Apollis gefunden wurde.« Clare wechselte nahtlos das Thema.
»Müssen Sie immer alles mit eigenen Augen sehen?«
»Auf Fotos wirkt alles viel flacher. Ich habe Ihre Bilder studiert, aber es ist mir lieber, wenn ich selbst dort war, wo der Leichnam gefunden wurde.«
Tamar schloss die Tür zu einem Bungalow auf. »Hoffentlich sind Sie nicht abergläubisch. Es ist die Nummer dreizehn. Darum bekommt die Polizei das Haus billiger. Niemand mietet sich je hier ein.«
»Wie kommen Sie darauf, dass ich abergläubisch sein könnte?«, fragte Clare.
»Wegen Ihrer Vorlesung«, sagte Tamar. Sie öffnete die Terrassentür zu der winzigen Veranda. Die Meeresluft durchzog wohltuend den stickigen Raum.
Clare war froh, ihren Koffer absetzen zu können. Es war ein langer Tag gewesen. »Gewöhnlich wirft man mir eher vor, zu nüchtern vorzugehen«, sagte sie.
»Sie haben damals etwas gesagt, das mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht.«
»Und zwar?«
»Sie sagten, wenn Sie an einen Tatort kommen, bleiben Sie dort gern eine Weile allein oder mit der Leiche sitzen. Dass dann manchmal eine Ahnung von dem, was vorgefallen ist, über sie hinwegwehen würde wie eine warme Brise. Das hat mich sehr beschäftigt.« Tamar schwieg eine Sekunde. »Sie sprachen damals nicht über die Gefühle des Opfers. Sie sprachen über den Mörder. Sie spüren vor allem das, was der Mörder zurücklässt. Was Sie finden, ist sein Herz. Als ich den Leichnam auf dem Schulhof fand, stellten sich meine Nackenhaare auf. Ich hatte genau dieses Gefühl, Clare, das Sie damals beschrieben haben.«
»An Ihrer Stelle würde ich das nicht in den Bericht schreiben«, lachte Clare.
»Bestimmt nicht.« Tamar sah müde aus und deutlich älter als ihre zweiunddreißig Jahre. »Morde unter Fremden sind am schwierigsten aufzuklären«, stellte sie fest.
»Es ist nicht leicht, in einer Stadt dieser Größe ein Fremder zu bleiben«, sagte Clare. »Und auch nicht leicht, ein Geheimnis zu bewahren, könnte ich mir vorstellen.«
»Sie wären überrascht, wie viele Geheimnisse es hier gibt.« Tamar zog den Kühlschrank auf. »Ich habe etwas Wein für Sie hineingestellt. Und Milch und Brot.«
»Sehr fürsorglich, danke«, sagte Clare und begleitete Tamar hinaus.
»Wir sehen uns dann morgen früh um sieben?«
Clare nickte und schaute zu, wie Tamar ihren Bauch hinter das Lenkrad schob. Schon nach wenigen Sekunden hatte der Nebel ihren Wagen verschluckt. Sie fuhr nach Osten. Clare schätzte, dass sie in Narraville lebte, einer vom Wind gepeitschten Township, die sich zu einem richtigen Vorort entwickelt hatte. Es hatte dort ein paar hübsche Gärten gegeben, wenn sie sich recht erinnerte. In einigen davon hatten der Wüste zum Trotz Rosen geblüht.
11
Aus Gewohnheit verriegelte Clare die Tür zu ihrer Hütte. Sie brauchte nicht lang, um ihren Jogginganzug, die T-Shirts und Jeans zu verstauen. Das schwarze Kleid wurde aufgehängt, ein gerahmtes Foto neben dem Bett aufgestellt. Drei kleine Mädchen neben einem Kinder-Swimmingpool lachten sie an. Zwei identische in rüschenbesetzten weißen Badeanzügen: Clare und Constance. Das dritte stand in der Mitte:Julia, älter, mit knospenden Brüsten in seinem gelben Bikinioberteil, die Arme um die beiden Schwestern gelegt. Clare hatte das Foto immer bei sich.
Sie zog die Schiebetüren ganz auf und trat auf die windgeschützte Veranda. Der Rasen neigte sich sanft dem Boulevard
zu, der sich in verführerischen fünf Kilometern um die Lagune zog. Clare schätzte, dass ihr noch eine Stunde Tageslicht blieb. Sie war müde, ihre Glieder waren schwer, und nach dem Flug in der kleinen Maschine war ihr immer noch ein wenig übel. Sie musste laufen.
Es war eine Erlösung, die Last des Tages zusammen mit ihren Kleidern
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