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Blutrose

Blutrose

Titel: Blutrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
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atmete tief ein und versuchte, es zu beruhigen. Er wäre nicht der erste Mann, der eine Frau attackierte und dabei behauptete, er wolle nur reden. Trotzdem verschaffte ihr das einen Aufschub. »Erst will ich mich hinsetzen.« Hinter ihrer ruhigen Stimme verbarg sich panische Angst.
    Vor ihr zeichnete sich die Gestalt eines Jungen ab. »Laufen Sie nicht weg«, flehte er sie an.
    »Nein«, versprach Clare, auch wenn sich ihr bei seinem durchdringenden Körpergeruch der Magen umdrehte. Sie bewegte sich ganz langsam, um ihn nicht zu verschrecken. Immer noch kein Messer zu sehen. Jetzt, wo sie sich hingesetzt hatte, erkannte sie, dass sie größer war als er.
    »Ich hab dich heute vor der Bäckerei gesehen.« Clares Herzschlag normalisierte sich wieder. »Lazarus. So heißt du.«
    Stolz, dass sie sich an ihn erinnerte, nickte der Junge.
    Clare stand vorsichtig auf. Der Junge machte es ihr nach. Er
reichte ihr bis zur Schulter. »Was willst du von mir?«, fragte sie. »Ich habe kein Geld bei mir.«
    »Ich habe Angst«, erklärte der Junge.
    »Du hast Angst«, wiederholte Clare.
    »Niemand hilft uns. Manchmal sterben wir«, sagte Lazarus. »Aber bisher war es immer nur ein Betrunkener, der uns eigentlich nicht tot machen wollte.«
    »Hatte Kaiser auch Angst?«, fragte Clare vorsichtig.
    Auf den Parkplatz neben dem Imbiss bog ein Wagen ein, dessen Scheinwerfer durch die Bäume strichen und dabei auch das Gesicht des Jungen aufleuchten ließen. Er sah so verletzlich, so jung aus.
    »Kaiser wollte zu seiner Schwester.« Der Junge stieß die Worte aus. »Er hat gedacht, bei ihr ist er sicher.«
    »Und als er das gesagt hat, hast du ihn das letzte Mal gesehen?«
    Der Junge nickte. »Am Freitagmorgen. Da wollte er in die Stadt.«
    »Was ist mit ihm passiert?«, fragte Clare.
    Der Junge verlagerte sein Gewicht auf den anderen Fuß. »Ich weiß es nicht. Niemand hat ihn gesehen. Er ist nicht zurückgekommen.«
    »Lazarus, ich mache mich jetzt wieder auf den Weg«, sagte Clare und setzte sich langsam in Bewegung, um ihn nicht zu erschrecken. »Möchtest du etwas zu essen?«
    »Gehen Sie heim, Miss.« Lazarus blickte nervös in Richtung des Wagens. »Ich kriege Ärger, wenn mich jemand mit Ihnen sieht. Wir kommen ins Gefängnis, wenn wir Touristen belästigen.« Er senkte den Blick auf seine abgewetzten Schuhe. »Das hat Mr Goagab gesagt.«
    »Okay«, sagte Clare. Sie tastete instinktiv nach ihren Schlüsseln und ihrem Handy. Beides war noch in ihrer Tasche. Clare sah Lazarus an. »Wolltest du mir eigentlich etwas Bestimmtes mitteilen?«

    Sein Blick rutschte ab. Er schüttelte den Kopf.
    »Okay«, sagte Clare wieder. »Aber wenn du was hörst, weißt du, wo du mich findest. Reiß mich nur nicht wieder zu Boden.«
    »Manchen Leuten wird es nicht gefallen, wenn Sie uns helfen. Passen Sie auf, Miss.«
    »Wem wird das nicht gefallen?«, fragte Clare. Sie sah Lazarus wieder an, doch es war zu dunkel, als dass sie seine Miene erkannt hätte.
    »Ich weiß nicht.« Er zuckte die Achseln. »Viele Leute denken, wir machen nur Ärger.«
    Ein zweiter Wagen bog auf den Parkplatz. Clare hob die Hand, um ihre Augen abzuschirmen. Als sie sich zu Lazarus umdrehte, um seine Erklärung zu hören, war er mit der Dunkelheit verschmolzen, die von der Wüste her hereinbrach. Wie ein Geist. Bei dem Gedanken überlief sie ein Schaudern.
    Sie war froh, dass sie das Licht in ihrem Zimmer hatte brennen lassen; dank des gelben Scheins wirkte ihr Bungalow wie ein sicherer Hafen zwischen all den unbeleuchteten Hütten. Sie schloss auf und verriegelte die Tür wieder, bevor sie sich unter die Dusche stellte.
    Als sie trocken und wieder angezogen war, schenkte sie sich ein Glas Weißwein ein und machte sich einen Toast. Dann fächerte sie die verschiedenen Mordakten auf ihrem Bett auf und machte sich an die Arbeit. Kaiser Apollis: Montagskind. Nicanor Jones: Mittwochskind. Fritz Woestyn: Samstagskind. Allmählich wurden ihr die fremden Namen vertraut, aber sie musste jenseits ihres gewaltsamen Todes ein Bild von dem Leben heraufbeschwören, das diese Jungen vorher geführt hatten. Sie griff nach einem Zeitungsartikel über das Straßenkinder-Fußballteam. Der Schlüssel zu den Toten lag bei den Lebenden. Um ihren Mörder zu finden würde Clare, wenn auch nur für einen Moment, die lachenden Jungen wieder aufleben lassen
und einen Schuss auf die Torpfosten am Ende des staubigen Fußballplatzes wagen müssen.

12
    Clare brauchte am nächsten Morgen drei Tassen

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