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Blutrose

Blutrose

Titel: Blutrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
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abzulegen und in den bequemen Jogginganzug zu schlüpfen.
    Die Lagune, von der untergehenden Sonne in tiefes Kupferrot getaucht, erstreckte sich bis zum Horizont. Ein Schwarm Flamingos stob in einem Rausch von Rosa in die Luft. Die Vögel zogen erst aufs Meer hinaus, um dann ins Landesinnere abzudrehen, gefolgt von den Nachzüglern wie vom Schweif eines Drachens. Ein etwa siebenjähriger Junge, dessen Haar von der untergehenden Sonne zu einem Feuerball getönt wurde, jagte auf seinem Fahrrad an Clare vorbei. Er winkte schüchtern, bevor er in den Hof eines windschiefen, zweistöckigen Hauses abbog.
    Der Wind frischte auf und trug die Eiseskälte des Benguela-Stromes ins Land. Die letzten Drachensurfer schälten sich aus ihren Neoprenanzügen und packten ihre Ausrüstung zusammen. Clare war froh um ihre Kapuze. Der dicke graue Stoff schirmte sie ab, und das rhythmische Stampfen ihrer Füße auf dem Boden war ihr inzwischen so vertraut wie der eigene Herzschlag. Zum ersten Mal, seit sie in Riedwaans Wagen diese Pandorabüchse geöffnet hatte, besserte sich ihre Laune. Sie lief schneller, verbannte alle Gedanken an ihn aus ihrem Kopf und vergrub sie in die Aufgabe, die vor ihr lag.
    Manche Probleme sollte man tatsächlich lieber vergraben. Wie den Jungen auf der Schaukel; er hätte weniger Ärger gemacht, wenn er begraben worden wäre. Dem Mörder jedenfalls. Clare fragte sich, was er mit dieser Präsentation wohl ausdrücken wollte.
    Sie erreichte das Ende des geteerten Boulevards, aber sie
war noch nicht bereit, in ihren leeren Bungalow zurückzukehren. Darum lief sie weiter, über die Linie der Straßenlaternen hinaus auf die Salzmarschen zu. Dahinter lag, wenn sie sich recht entsann, das Kuiseb-Delta, ein Gebiet voller heimtückischer Nebenläufe und voll rastlosem Sand, der von den Dünen wehte. Sie unterdrückte ihre atavistische Angst vor dem Dunkel und lief weiter gegen den Wind an, bis sie sich in dem tröstenden Rhythmus ihres lockeren Laufstils verlor. Ein Laster erschien ohne Vorwarnung aus dem Nichts und zwang sie von der Straße.
    »Hey!« schrie sie ihm nach, wütend vor Angst. Sie blieb stehen, beugte sich vor und versuchte ihren Herzschlag zu beruhigen. Das Fahrzeug beschleunigte in den dichter werdenden Nebel hinein und ließ zur Entschuldigung einmal die Warnblinker aufleuchten. Es war Zeit umzukehren.
    Clare wandte sich der Stadt zu, hatte jetzt den Wind im Rücken und das Geschnatter der im Brackwasser nach Futter suchenden Seevögel zu ihrer Linken. Sie umrundete eine Düne, die mit einem Dickicht aus staubigen Tamarisken bepflanzt war. Die Bäume schirmten sie vor den Geräuschen der Lagune ab, dafür trug hier der Wind das schwache, hämmernde Echo fremder Schritte heran. Sofort überzog eine Gänsehaut Clares Arme, und ihr Magen fühlte sich hohl an. Sie legte Tempo zu, denn inzwischen war sie sicher, dass sie auch das Pfeifen des Atems in einer nicht untrainierten Lunge hören konnte.
    Gerade als sie aus den Bäumen herauslaufen wollte, schlang sich ein drahtiger Arm um sie und riss sie nach hinten. Der andere Arm wand sich in ihre Kapuze und ließ ihr Genick nach hinten schnellen. Clare trat mit aller Kraft nach hinten. Sie hörte ein scharfes, schmerzhaftes Keuchen, als ihr Fuß auf ein Schienbein traf, aber die Arme um ihren Körper lockerten sich nicht. Die Kapuze hatte sich um ihre Gurgel zugezogen. Sie konnte ihn riechen, das rohe Gemisch aus Adrenalin und Holzrauch auf seiner Haut. Clare zog den Kopf nach vorn,
doch so bekam sie noch schlechter Luft, darum ließ sie sich gegen ihren Angreifer sacken und nutzte die kurzfristige Entspannung seiner Muskeln, um sich aus seinem Griff zu winden. Beide landeten im feuchten Sand, Clare unter ihm. Sie schätzte die Entfernung zu den Lichtern jenseits der Bäume ab. Dreihundert Meter. Der Imbiss, an dem sie vorhin vorbeigekommen war, hatte bestimmt noch geöffnet. Sie brauchte fünfzehn, höchstens zwanzig Sekunden. Sie sah ihren Angreifer an und versuchte zu erkennen, ob er bewaffnet war. Sie sah keinen Stahl im Halbdunkel glänzen. Keine Messerklinge. Keine Pistole. Clare holte tief Luft und kämpfte erneut darum, ihren Puls zu verlangsamen.
    »Entschuldigen Sie, Miss.« Die Stimme klang hoch, fast mädchenhaft. Ganz und gar nicht so, wie Clare es erwartet hätte. Und auch sein Körper war leichter als ihrer, wenn sie es recht überlegte. »Aber ich muss mit Ihnen reden«, sagte die Stimme.
    Clares Herz hämmerte immer noch gegen die Rippen. Sie

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