Blutrose
auf der Rollbahre aus, bis seine Hüftknochen wie zwei kleine Gipfel unter dem blutfleckigen weißen Hemd hervorstachen. »The Desert Rats« prangte unübersehbar auf seinem schmuddeligen Hemd.
»Mara Thomsons Fußballteam«, erklärte Tamar.
Helena zog ihm die Kleidung vom Körper. Er trug keine Unterhose unter seiner Jeans. Seine Füße waren zu klein für die brandneuen Nikes.
»Teure Schuhe für einen Straßenjungen«, kommentierte Clare. Sie steckte die Anziehsachen und Schuhe in einen Beutel und beschriftete ihn.
»Plagiate«, erklärte Helena. »Chinesische Nikes. Für dreißig namibische Dollar. Das sind wie viel? Ungefähr vier US-Dollar. Probieren Sie es bei ›China Waltons‹ in der Stadt. Da kauft sie jeder.«
Helena wandte den Blick von dem reglosen, im Tod so androgyn wirkenden Gesicht und legte eine Hand auf das schmutzige Knie des Jungen. »Alte Narben an Knien und Ellbogen. Unbeschnitten. Keine Tätowierungen. Ein Lederhalsband mit einem perlenbesteckten Beutel um den Hals.«
»Das dient dem Schutz.« Tamar beugte sich vor. Sie knotete den Beutel ab und ließ ihn zu den Kleidern fallen. »Bestimmt hat er ihn schon als kleines Baby getragen. Wer auch immer ihm dieses Ding gegeben hat, hat ihn geliebt.«
»Genutzt hat es ihm nichts«, sagte Helena. »Können Sie mir helfen, ihn umzudrehen, Clare?«
Clare nickte widerwillig. Der nackte Junge war federleicht. Als sie ihn auf den Bauch legten, kippten die Fersen nach außen, sodass die Fußspitzen nach innen zeigten. Helena beugte sich gedankenversunken vor. Sie drückte mit dem Zeigefinger auf eine nackte Hinterbacke. »Ausgeprägte Verfärbungen auf der Rückseite der Beine. An Hintern, Rücken, Schenkeln, Waden. Sieht so aus, als hätte sich das Blut dort gesammelt.«
»Und was sagt Ihnen das?«, bellte Mouton.
»Dass er länger auf dem Rücken lag, bevor er für die Fahrt in die Stadt verschnürt wurde.« Helena fuhr mit dem Finger über das verfilzte Haar des Jungen. In dem trocknenden Blut hatte sich feiner Sand verfangen. Sie hielt einen Objektivträger unter die Locken, ließ ein paar Körner daraufrieseln und hielt das Glasplättchen dann gegen das Licht. Es glänzte. »Sehen Sie das? Das ist Glimmer. Katzengold. Den gibt es nicht hier an der Küste. Hier ist der Sand dunkler, schon fast lila.« Helena legte das Plättchen beiseite.
Clares Blick wanderte über das Gitterwerk von Narben auf seinem Rücken. »Kaiser Apollis hat zu Lebzeiten einiges einstecken müssen. Würde mich interessieren, was van Wyk über seinen Wochenendaufenthalt in der Zelle zu berichten weiß.«
Helena drehte den Wasserhahn auf, und warmes Wasser sprühte aus dem daran gekoppelten Gartenschlauch. Sie und
Clare drehten Kaiser wieder auf den Rücken. Das Wasser färbte sich im Ablaufen rosa und löste das verkrustete Blut von dem Gesicht des Jungen. Knochen und Haut flatterten wie lose Blütenblätter in dem blutroten Loch, das die Kugel in seine Stirn gestanzt hatte.
»Der Mörder hat aus nächster Nähe gefeuert. Sehen Sie sich das an.« Helena deutete auf die Stirn des Jungen. Rund um die Eintrittswunde lag aufgefächert ein kompliziertes Tüpfelmuster. »Man bezeichnet so etwas als Tattoo. Es entsteht, wenn aus nächster Nähe geschossen wurde. Aus einer Entfernung zwischen zehn Zentimetern und zwei Metern. Aus größerer Entfernung tritt es nicht auf.«
»Woher kommt es?«, fragte Clare.
»Die Treibladung, die bei dem Austritt der Kugel mit dem Gas aus dem Lauf ausgestoßen wird, lagert sich wie ein Tattoo im Gewebe ein«, erklärte Helena. Sie schwenkte den Schlauch nach unten und wusch das Blut von Hals und Brust des Jungen. Danach drehte sie den Strahl schwächer und spülte die Brustwunden aus. In das Fleisch waren mit ein paar schnellen, tiefen Schnitten Zeichen eingeritzt worden.
»Sieht aus wie eine Drei«, sagte Helena.
»Hauptsache, es gibt keine Vier. Nicanor Jones war ähnlich verunstaltet«, erzählte Tamar. »Er hatte eine Zwei auf der Brust.«
»Und Fritz Woestyn hatte eine Eins?«, fragte Clare
»Nichts. Der gleiche Kopfschuss, die gleiche Art von Waffe, aber keine Verletzungen, die hiermit vergleichbar wären«, erläuterte Tamar.
»Wie wurde das gemacht?« Clare drehte sich wieder zu Kaiser Apollis um.
»Mit einem Messer ohne Sägeklinge, würde ich sagen«, vermutete Helena. »Sehr scharf. Ein Fischermesser vielleicht oder etwas ähnlich Griffiges. Sehen Sie her.« Sie deutete auf die Brust. »An manchen Stellen sind die Rippen
Weitere Kostenlose Bücher