Blutrose
abfällig. »Sechs Namdollar.«
»Es sind gute Kinder«, widersprach Mara. »Die ein schlechtes Leben führen.«
»Für euch Ausländer ist es leicht, Mitleid mit ihnen zu haben, aber wir müssen mit ihnen leben. Diese Aidswaisen machen nichts als Ärger.« Die Frau zählte Maras Wechselgeld ab. »Denken Sie nur an den, der sich hat umbringen lassen. Und an die beiden, die in der Wüste gefunden wurden. Haben die vielleicht Rücksicht darauf genommen, was das für den Tourismus bedeutet?«
»Bestimmt hätten sie es dann vermieden, sich erschießen zu lassen«, warf Tamar scharf ein.
»Hallo, Captain.« Mara war die Erleichterung, gerettet zu werden, deutlich anzuhören.
»Morgen, Mara. Das ist Dr. Hart«, sagte Tamar. »Sie kommt aus Kapstadt und arbeitet mit mir zusammen.«
»Guten Morgen. Ich bin wirklich froh, dass sich überhaupt jemand der Sache annimmt«, sagte Mara und schüttelte Clares Hand. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«
»Und Sie?«, fragte Clare. »Sie kannten Kaiser? Und die anderen Jungs, wie ich gehört habe?«
»Kaiser spielt … spielte in der Fußballmannschaft, die ich
trainiere. Fritz und Nicanor ab und zu auch.« Mara wandte sich zur Tür, damit sie außer Hörweite der griesgrämigen Verkäuferin war. »Dass Fritz Woestyn starb, konnte man noch dem Risiko zurechnen, mit dem sie hier alle leben«, fuhr sie fort. »Es gab früher schon Morde an Straßenkindern. Erst Nicanor Jones’ Tod hat ihnen Angst gemacht. Und der letzte …« Mara ließ den Satz unvollendet.
»Ich muss später noch mit Ihnen sprechen«, sagte Clare. »Über die Jungs.«
»Gut«, meinte Mara. »Ich wohne zur Untermiete in dem zweistöckigen Haus an der Lagune. George Meyers Haus, falls Sie nach dem Weg fragen müssen.«
»Ich habe es schon gesehen«, sagte Clare. »Ein kleiner Rotschopf mit Fahrrad ist in dem Haus verschwunden.«
»Das ist Oscar«, bestätigte Mara. »Ich bin nach dem Fußballtraining heute Nachmittag zu Hause.« Sie nickte ihnen zum Abschied zu und ging nach draußen. Clare beobachtete, wie sie Lazarus ein Brötchen abgab.
»Kein Fleisch?«, fragte er, riss die Folie weg und ließ sie zu Boden segeln.
»Wie wäre es mit einem Danke?«, fragte Mara und hob die weggeworfene Folie wieder auf.
»Danke«, sagte er und warf das Käsebrötchen in den Müll, sobald Mara um die Ecke gebogen war.
»Maras Visum läuft bald ab.« Clare hatte nicht gehört, dass Tamar aus dem Laden gekommen war. »Sie muss nach Hause, ob sie will oder nicht.«
»Und will sie?«, fragte Clare.
»Ich glaube nicht«, sagte Tamar. »Sie hat sich in einen schönen jungen Spanier namens Juan Carlos verguckt. Ich bezweifle, dass sie zurzeit auch nur einen vernünftigen Gedanken fassen kann.«
13
Das Privatkrankenhaus von Walvis Bay war ein freudloser Bau. Die Pathologie war in einem verwitterten Fertigteilanbau hinter dem Hauptgebäude untergebracht und das finstere Herz dieses Komplexes. Eine junge Frau in grünem Krankenhausoverall öffnete, als Tamar anklopfte.
»Willkommen.« Sie trat beiseite, um Clare und Tamar einzulassen. Der Limonenduft in ihrem Haar kämpfte gegen die in der Luft liegende Mischung aus Desinfektionsmittel und Instantkaffee an.
»Sie müssen Dr. Hart sein.« Die Hand, die sie Clare entgegenstreckte, war breit und gepflegt, die Fingernägel waren kurz geschnitten.
»Nennen Sie mich Clare. In Gegenwart von Ärzten komme ich mir mit meinem Doktortitel immer wie eine Hochstaplerin vor. Sie sind Dr. Kotze?«
»Helena, bitte«, gab die Frau zurück. Sie wandte sich an Tamar und musterte sie von Kopf bis Fuß.
»Wie geht es Ihnen?«
»Gut. Hier ist was zum Frühstücken für Sie.« Tamar reichte Helena ein Gebäckteilchen.
»Danke. Freut mich, Sie kennenzulernen, Dr. Hart. Ich habe einige Ihrer Arbeiten gelesen.«
»Und Ihr ehemaliger Professor Piet Mouton hat Sie in den höchsten Tönen gelobt«, erwiderte Clare das Kompliment.
»Nur schade, dass ich nicht hier war, um die beiden anderen Jungen zu obduzieren«, sagte Helena. »Die Obduktion an Fritz Woestyn und Nicanor Jones hat ein Assistenzarzt vorgenommen. Und die taugen so viel wie das Wahlversprechen eines Politikers. Die beiden Jungen wurden begraben, und der Assistenzarzt ist längst wieder in Kuba, darum hängt enorm viel von dieser Obduktion ab.«
Helena händigte Clare und Tamar Handschuhe und Kittel aus und führte sie dann in einen Umkleideraum neben der Eingangshalle. Clare zog den unförmigen grünen Kittel über ihre Sachen
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