Blutrose
schäumend zum Meer hin geschoben hatte, war der Damm einer alten Bahnstrecke zu erkennen.
»Wer hat ihn gefunden?«
»Ein Wartungstrupp der Wasserwerke. Es gab ein Leck in der Pipeline, das sie überprüfen mussten. Und da lag Fritz mit einem Loch im Kopf und starrte in den Himmel. Van Wyk hatte Dienst und fuhr raus.«
»Das Samstagskind. Wo genau?«
»Unter dem großen Baum da.« Karamata deutete auf eine Akazie mit breiter Krone.
»Gefesselt?«
»In ein Stück Stoff eingerollt. Die Hände waren gefesselt gewesen, aber das Seil war durchgeschnitten, genau wie bei Kaiser.«
Den Fotoapparat in der Hand, ging Clare vor dem Baum in die Hocke. Sie tastete den Bereich ab, an dem sein Kopf herabgerutscht war. Die Borke war rau, schartig von Alter und Hitze.
»Haben Sie die Autopsieaufnahmen dabei?«, fragte sie.
Karamata reichte ihr die blutigen Nahaufnahmen. Nackte Füße, schwielige, vernarbte Hände. Sie blätterte weiter, bis sie zu den Nahaufnahmen der Schusswunde gelangte. Die Blume auf seiner Stirn war eindeutig, die Blütenblätter aus verkrustetem Blut und Knochen strahlten fein verteilt von dem dunklen Zentrum aus. Der Hinterkopf des Kindes war unverletzt.
»Keine Austrittswunde?«, fragte Clare. »Dann war die Kugel also noch im Hirn. Ich habe keine ballistischen Angaben gelesen. Die Autopsie?« Clare wusste, wie die Antwort lauten würde; Helena Kotze hatte ihr erklärt, dass sie nur oberflächlich vorgenommen worden war. So oberflächlich, dass man nicht einmal die Kugel aus dem Kopf geholt hatte.
»Hat nichts Genaueres ergeben«, bestätigte Karamata. »Nur dass der Schuss die Todesursache war. Keine große Kunst, so etwas bei einer Schusswunde festzustellen. Er wurde drei Tage nach dem Auffinden beigesetzt.«
»Warum?« Clare versuchte sich ihre Frustration nicht anmerken zu lassen.
»Der Leiter der Stadtreinigung hat angeordnet, dass die Stadt für die Begräbnisse der Ärmsten aufkommt.«
»Calvin Goagab?«
»Genau der.« Karamata nickte.
»Wie großzügig.«
»Das öffentliche Leichenhaus ist zurzeit ständig überfüllt. Die Familien können es sich nicht mehr leisten, ihre Angehörigen zu bestatten, und dann brach auch noch das Kühlsystem zusammen. Der Bürgermeister ist ein praktisch denkender Mensch, darum ist er Goagabs Bitte nachgekommen, den Leichenstau beseitigen zu dürfen und alle beisetzen zu lassen.
Die Anordnung wurde schon vor dem Mord getroffen. Zufällig hat auch Fritz Woestyn davon profitiert.«
»Und Captain Damases war damit einverstanden?«, wollte Clare wissen.
»Sie war zu der Zeit krank«, erläuterte Karamata. »Schwangerschaftskomplikationen. Van Wyk hat den Fall bearbeitet.«
»Mordopfer vergraben.« Clare stand auf. »Eine ganz neue Methode, seine Fälle abzuarbeiten.«
»Ich weiß nicht, ob ihm überhaupt etwas an all dem liegt.« Karamata öffnete ein Päckchen Biltong.
»An einem Mordfall?«
»An den Straßenkindern. Es gibt inzwischen so viele. Er meint, sie seien nichts als Aidswaisen, die irgendwann sowieso sterben. Viele Menschen denken wie er.«
»Und Sie?«
»Ich bin Polizist«, sagte Karamata, während er an seinem Rindfleischsnack kaute. »Ich denke über so etwas gar nicht nach. Ich tue meinen Job. Für mich ist ein Leben ein Leben. Ich war wie diese Jungen. Nichts als ein Stück Müll.« Seine Augen waren so dunkel, dass es unmöglich war, eine Regung darin zu erkennen. »Und sehen Sie mich jetzt an.«
17
Die Sonne, die den ganzen Tag als heißes, unsichtbares Auge hinter dem Nebel gewacht hatte, senkte sich schon dem Meer zu, als Tamar Damases ihren Computer ausschaltete, aufstand und den Rücken durchstreckte. Sie konnte keine Übereinstimmung erkennen zwischen den Zeiten, zu denen die einzelnen Schiffe im Hafen von Walvis Bay angelegt hatten, und dem Verschwinden ihrer drei Jungen – tatsächlich betrachtete sie die Toten allmählich als ihre drei Jungs.
Das Baby bewegte sich und stemmte protestierend einen winzigen Fuß gegen die straff gespannte Haut ihres Bauches. Sie legte die Hand auf die Stelle und spürte, wie das Füßchen sich wieder in die Sicherheit der dunklen, geheimen Welt ihres Innern zurückzog. Vom Parkplatz draußen drangen Fetzen lärmender Unterhaltungen herein, Verabredungen auf ein Bier, ein Gespräch übers Fußballtraining, das Eintrudeln der Nachtschicht. Für Tamar wurde es Zeit, sich für ihre eigene lange Nachtschicht zu stählen.
Sie räumte ihren Schreibtisch auf und spülte die Tassen aus, damit
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