Blutrose
in die Vergangenheit verbaut«, erklärte das Mädchen ungerührt. »Lass uns hierbleiben. Die Wüste sieht sowieso überall gleich aus.«
Der Mann parkte das Motorrad unter einem Baldachin aus knorrigen Akazien und dachte dabei an die Mädchen, die er mit einigen Kameraden aus seiner Einheit damals in der Stadt aufgelesen und hier herausgebracht hatte. Armeematratzen hatten sie die Kleinen genannt. Ein paar Tage in der Wüste hatten noch jede gezähmt und zugänglich gemacht. Ganz anders als dieses wilde Ding, das so hieß wie das schwülstige Parfüm seiner Frau.
Noch bevor er die Motorradtaschen ausgepackt hatte, hatte das Mädchen bereits Feuerholz und Zunder gesammelt. Sie hielt ein Streichholz an das Gras und blies, dass die roten Funken über den Samthimmel stoben. Dann lehnte sie sich zurück und bot dem Mann einen Zug aus ihrem kunstvoll gedrehten Joint an – noch etwas, das die Mädchen in den letzten zwanzig Jahren gelernt zu haben schienen. Er tauschte seinen Flachmann gegen den Joint.
Das Mädchen legte beim Trinken den Kopf in den Nacken, und er fuhr mit dem Finger über ihre Kehle, um in der Vertiefung an ihrem Schlüsselbein innezuhalten, wo er ihren flatternden Atem unter seinem Daumen spürte. Sie hob seine Hand an ihren Mund, schlug mit ihrer Zunge gegen seine Finger und klickte mit dem Piercing in ihrer Zunge gegen seinen Ehering. Dann war sein Knie zwischen ihren Schenkeln, er spreizte ihre Beine und bestieg sie. Er war schon wieder fertig, ehe er überhaupt richtig angefangen hatte. Das Mädchen seufzte und drehte ihm den Rücken zu, um sich eine Zigarette anzuzünden. Er versuchte sie zu küssen, aber sie schob ihn weg.
»Ich bin hungrig«, sagte sie und wühlte, auf einen Ellbogen aufgestützt, in der Essenstüte neben ihr. Sie spielte mit dem Gedanken, ihre Zähne zu putzen, aber der Mann an ihrer Seite war schon eingeschlafen und hatte beide Arme um ihren Bauch geschlungen. Also breitete sie eine Decke über sie beide, legte sich vorsichtig auf den Rücken und schaute zu den Sternen auf, die hell wie Straßenlaternen zwischen den Ästen ihres Baumbaldachins hindurchfunkelten.
Als das Mädchen wieder aufwachte, war es dunkel. Kein Mond. Auch kein Wind. Sie schätzte, dass es zwei Uhr morgens war. Vielleicht drei. Die Stille drückte auf ihre Ohren, ihre Lunge und machte ihr das Atmen schwer. Sie kuschelte sich wieder in die Arme des Mannes, aber der Druck auf ihrer Blase wollte nicht weichen, darum schob sie sich unter der Decke hervor, um nach der Taschenlampe und nach ihren Schuhen zu tasten. Sie wagte sich in einen dunkleren Fleck am Rand ihres Lagers vor.
Als sie die Taschenlampe anschaltete und den Lichtstrahl nach vorn zwischen die Bäume schickte, wartete er bereits auf sie. Grinsend.
Der Schrei des Mädchens prallte von den Bäumen ab und flog durch die Nacht.
28
Eine Totenklage. Hoch und wild. Sie ließ die Angst durch Clares Rückenmark schießen. Sie setzte sich auf, presste die Hände auf die Schläfen und versuchte, in den Nachwehen des Albtraums ihre Gedanken zu ordnen. Sie war gelaufen, immer schneller gelaufen. Ihre nackten Füße hatten geblutet, das Fleisch war zerschnitten von den Muschelscherben, die den Strand übersäten. Geisterhände hatten nach ihren Beinen gegriffen,
sie abwärtsgezerrt, der Lagune zu, sich um ihre Kehle gelegt. Clare sah sich in ihrem Zimmer um und versuchte sich zu orientieren. Sie hatte geschlafen. Es war nur ein Traum gewesen.
Sie tastete gerade nach dem Wasser neben ihrem Bett, als dieser schreckliche Ton erneut die Stille durchschnitt. Natürlich. Ihr Handy.
»Was?« Förmlichkeiten brauchte der Anrufer um drei Uhr früh nicht zu erwarten.
»Dr. Hart? Habe ich Sie aufgeweckt?« Sie versuchte die Stimme einzuordnen. »Hier ist van Wyk.«
Natürlich van Wyk. Das Gefühl der Bedrohung, das sich nach ihrem Traum schon halb verflüchtigt hatte, kehrte zurück.
»Was ist?«, fragte sie noch mal.
»Noch eine Leiche. Ich hole Sie ab.«
»Wo? Wer?«
»Von Ihrem Bungalow«, sagte van Wyk. »Ich werde Sie selbst abholen.«
»Ich meinte, wo wurde die Leiche gefunden? Wer ist es?«
»Draußen am Kuiseb, auf dem ehemaligen Militärgelände hinter dem Delta. Ein paar Motorradfahrer haben sie gefunden. Ich würde Sie nicht aus Ihrem Schönheitsschlaf reißen, wenn der Fall nicht genau in Ihr Schema passen würde.«
»Wie viel Zeit habe ich?« Clare brauchte Kaffee.
»Zehn Minuten.« Van Wyk legte auf.
Clare kochte Kaffee und trank ihn,
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