Blutrot wie die Wahrheit
Thurston.
âOxford â ein inoffizieller Club.â
âDr. Hewitt konnte seinen rechten Aufwärtshaken gestern Abend sehr eindrucksvoll an Felix Brudermann demonstrierenâ, sagte Nell.
âGut gemacht!â, rief Thurston erfreut. âHaben Sie ihn k.o. geschlagen?â
âEr war noch bei Bewusstsein â zumindest mehr oder minderâ, räumte Will ein, âschien darüber aber nicht sonderlich glücklich zu sein.â
âPratt lag schlaff da wie eine Stoffpuppe, aber eine ziemlich schwereâ, erzählte Thurston sichtlich stolz. âWir mussten zu dritt anpacken â Virginia, Fiona und ich â, um ihn nach drauÃen zu schaffen und in eine Mietdroschke zu verfrachten. Wenn ich da schon gewusst hätte, was ich heute weiÃ, hätte ich ihm einen Pflasterstein um den Hals gehängt und ihn in den Charles River geworfen. Wahrscheinlich würde Virginia dann heute noch leben.â
âAber Sie wären ein Mörderâ, wandte Nell ein. âWäre es das wert gewesen?â
Thurston schaute sie an, als habe sie soeben etwas unverzeihlich Unsinniges gesagt. âNatürlich wäre es das wert gewesen. Virginia würde noch leben.â
âAber wenn man Sie dafür gehängt hätte?â, fragte Will.
âIch habe Virginia geliebtâ, sagte Thurston. âIch hätte alles für sie getan und alles für sie gegeben.â
Will versuchte es erneut: âSchon, aber â¦â
âHaben Sie jemals jemanden geliebt, Dr. Hewitt?â, fragte Thurston. âUnd damit meine ich nicht Ihre Mutter und auch nicht Virginia â Sie hatten ja bereits eingeräumt, dass Sie nur glaubten, sie geliebt zu haben. Nein, ich meine wahrhaftige, verzehrende Liebe, der man hilflos ausgeliefert ist.â
Will sah Thurston einen langen Augenblick an, dann senkte er den Blick auf seine Tasse; seine Kiefermuskeln spannten sich. Er trank einen Schluck. âIch denke schon.â
âWürden Sie Ihr Leben für diese Person hergeben?â
âJa.â
âDann wissen Sie, was ich für Virginia empfunden habe. Dass wir nie ein Liebespaar waren, änderte nichts an meiner Hingabe an sie. Ja, ich wäre für sie an den Galgen gegangen. Mehr noch â ich glaube, sie hätte dasselbe für mich getan.â
Will nickte schweigend. Nell war es, als weiche er ihrem Blick aus.
âArme Virginia.â Seufzend stellte Thurston den Zerstäuber auf den Tisch und lieà sich schwerfällig auf seinen Stuhl sinken. âAn jenem Abend verlor sie abermals eine Dienerin.â
âFiona hat auch gekündigt?â, fragte Nell überrascht.
âJa, sie bedauere es sehr, meinte sie, aber es sei ein Fehler gewesen, die Stelle bei Virginia anzutreten. Sie hätte sich das vorher nicht richtig überlegt und werde stattdessen lieber den Kurzwarenladen eröffnen, von dem sie andauernd redete.â
âMit welchem Geld denn?â, stellte Will die nahe liegende Frage.
âDas hat Virginia sie auch gefragt. Das Mädchen behauptete, sie habe genügend gespart, aber wie hätte sie bei ihrem Lohn denn genügend sparen sollen? Virginia versuchte, sie davon abzubringen. Im Grunde war sie sehr gutmütig und groÃherzig. Sie sorgte sich um das Mädchen und fürchtete, dass sie sich übernehmen und auf der StraÃe landen würde oder in irgendeinem der Bordelle im North End. Aber Fiona lieà sich nicht umstimmen. Immerhin war sie entgegenkommend und dann doch bereit, noch eine Woche zu bleiben â was man von Clara ja nicht hatte sagen können.â
âWäre sie sofort gegangen, würde sie aber wohl noch lebenâ, bemerkte Nell.
Thurston nickte düster. âAm nächsten Tag kam Pratt zurück, brachte sie beide um und lieà es so aussehen, als sei es die Tat Fionas.â
âWollen Sie damit sagen, dass er den Mord schlichtweg aus Zorn begangen hat?â, fragte Will.
âWenn Sie ihn an jenem Abend gesehen hätten, wie er vor Wut geschnaubt und gespien hatte, würden Sie auch meinen, dass er völlig den Verstand verloren hatte. Natürlich war Virginia sein eigentliches Ziel, wenngleich ich mir vorstellen kann, dass Fiona es sich auch gründlich mit ihm verscherzt hatte, als sie ihn am Abend zuvor einen Lügner nannte. Ich glaube, sein Zorn hat ihn jeglicher Kontrolle über sein Handeln beraubt. Doch wer weiÃ? Vielleicht hatte er die
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