Blutrot wie die Wahrheit
sein dürfte, dass die Schwester seines Dienstherrn, seit sie von ihrer Reise zurückgekehrt war, dieses befremdliche Abendritual beging.
Merritt räusperte sich.
Vera rührte sich nicht.
âMiss Prattâ, sagte der Butler. âSie haben Besuch.â
Vera schlug die Augen auf, gewahrte Nell und Will und blinzelte. âOh.â Sie lächelte, lieà langsam die Arme sinken. âOh ja, wie schön, Sie beide wiederzusehen.â
Nell und Will nickten stumm, bis Will schlieÃlich meinte: âWir ⦠hmm. waren nur gerade in der Nähe, und da dachten wir, könnten wir doch mal kurz vorbeischauen.â
âIch freue mich ja sehr, dass Sie gekommen sind.â Jäh schwand Veras Lächeln. âAber wahrscheinlich wollten Sie ja den anderen einen Besuch abstatten, doch die sind heute auf einer Dinnerparty â auf der Yacht der Abbotts. Ein herrlicher Abend für eine kleine Seepartie, finden Sie nicht auch?â
âAllerdingsâ, stimmte Nell ihr zu. Schade nur, dass Vera nicht miteingeladen worden war.
âIst Emily auch bei den Abbotts?â, fragte Will.
âOh nein, Emily kann solche eleganten Geselligkeiten doch nicht ausstehen. Sie ist mit Dr. Foster spazieren.â
âIsaac Foster?â, vergewisserte sich Will etwas verwundert.
âAber ja. Er kam heute nach dem Abendessen vorbei und hat gefragt, ob sie mit ihm eine kleine Runde über den Common drehen möchte. Winnie wollte, dass ich sie begleite â wegen der Schicklichkeit, Sie wissen schon â, aber Emily meinte, dann würde sie eben gar nicht gehen, wenn sie eine Anstandsdame mitnehmen müsse. Und Winnie hat nicht darauf beharrt â natürlich nicht. Sie ist ja ganz aufgeregt, dass ein Gentleman wie Dr. Foster sich überhaupt für Emily interessiert. Ein sehr angenehmer Gentleman, wie ich finde.â
âJa, er macht einen sehr netten Eindruck.â Will sah kurz zu Nell hinüber.
âMiss Prattâ, lieà Merritt sich vernehmen, âwünschen Ihre Gäste vielleicht einen Kaffee?â
âOh!â Vera schien völlig durcheinander, als sei sie es nicht gewohnt, Gäste zu haben. âJa, ich denke schon â¦â Sie wandte sich an Nell und Will und fragte: âMöchten Sie ⦠Würden Sie gern â¦?â
âDas wäre wunderbarâ, erlöste sie Nell aus ihrer Verlegenheit.
âAh ja, gut. Dann jaâ, rief Vera erfreut. âDanke. Danke, Merritt. Wunderbare Idee.â
Der Butler entfernte sich. Nell, Will und Vera sahen einander auf der vom Kerzenschein erhellten Terrasse an. Als Nell den Blick senkte und die Kreidezeichen betrachtete, meinte Vera rasch: âSie wundern sich gewiss, was ich hier mache.â
âMmh, nun ja â¦â Nell wusste nicht so genau, ob sie besser nicken oder den Kopf schütteln sollte.
âDoch, eigentlich schonâ, sagte Will.
âIch versuche, mit einer entschwundenen Seele in Verbindung zu tretenâ, erklärte ihnen Vera mit derselben beiläufigen Selbstverständlichkeit, mit der man vielleicht eine Nachbarin zum Tee einladen mochte. âIch habe es bei H.P.B. einige Male mit angesehen, und sie hat auch versucht, es mich zu lehren, aber ich bin ⦠ich weià auch nicht. Sie meinte, es mangele mir an der nötigen geistigen Disziplin. Es sagen ja alle, dass ich ein bisschen â¦â Sie lieà ihre Fingern um ihren Kopf herumflattern. âAber nun bin ich fest entschlossen, es solange zu versuchen, bis es mir gelingt. Hinsetzen?â
âIch ⦠wie bitte?â, fragte Nell verdattert.
âWürden Sie sich gern hinsetzen? Aber natürlich wollen Sie das, wenn wir doch gleich Kaffee bekommen.â Vera sah sich um und fuchtelte hektisch mit den Händen. âIch habe sie vorhin beiseite geschoben â¦â
âDa sind sie.â Will schob drei Stühle zu einem kleinen Kreis zusammen und geleitete die beiden Damen an ihre Plätze. Merritt tauchte wieder auf und stellte einen kleinen Tabletttisch mit Kaffee und Portwein, Himbeeren und kandiertem Ingwer ab, verneigte sich und ging wieder.
Vera goss Kaffee ein, Will den Portwein, den Vera jedoch ablehnte. âGeistige Getränke greifen unsere Aura an und schwächen unsere Verbindung zur Seelenwelt.â
âSeltsam, was man uns arglosen Studenten an der medizinischen Fakultät alles verschwiegen hatâ, befand Will und goss Nell und
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