Blutrot
Job verliert. Deshalb ließ ich es dabei bewenden und habe über den verdammten Wohnungsbrand berichtet.«
Sie spießte einen Steakbissen auf, legte dann die Gabel auf den Teller und leerte ihr Bier. Sein eigenes
hatte er schon ausgetrunken, deshalb fing er Glorias Blick auf und bestellte zwei neue Biere. Sein Schweinekotelett lag unberührt auf dem Teller.
»Ich möchte Ihnen für Ihre Hilfe danken«, sagte er. »Nicht jeder hätte sich so viel Mühe gemacht.«
»Ich habe die Geschichte noch nicht abgeschlossen, Av. Noch nicht. Ich muss nur einen anderen Ansatzpunkt finden. Etwas so Entscheidendes, dass selbst der Sender und die Öffentlichkeit es sich nicht leisten kann, es zu ignorieren. Im Augenblick fällt mir allerdings nicht ein, was das sein könnte.«
Die Biere wurden serviert. Er trank einen Schluck. »Sam Berry meinte, wir könnten auch ohne das Mitwirken des Staatsanwalts klagen«, sagte er. »Wir könnten einen eigenen Forensiker engagieren, die Herausgabe des Gewehrs verlangen und den Jungen vielleicht auf diese Weise drankriegen. Es würde natürlich einiges kosten, aber … es wäre immerhin etwas.«
Während er sprach, merkte Ludlow, wie hilflos er sich fühlte. Es war so verdammt wenig verglichen mit dem Leben des Hundes und der Boshaftigkeit dieses Jungen. Der Scheißkerl war vorläufig nicht einmal vorbestraft.
Er sah, dass es ihr genauso ging.
»Jemanden zu verklagen reicht nicht aus«, sagte sie. »Das tun die Leute heutzutage ständig. Es hat keinen Nachrichtenwert. Es ist nichts.«
Sie hatte recht. Es war nichts .
Ihm würde in der Sache keine Gerechtigkeit widerfahren, jedenfalls nicht vonseiten der Justiz. Und an die Anständigkeit der Menschen zu appellieren brachte auch nichts, so viel war ihm inzwischen klar geworden. Während er seine Mahlzeit anstarrte, dachte er darüber nach, was die Reporterin gesagt hatte: Man müsse etwas finden, das zu ignorieren sich die Öffentlichkeit nicht leisten konnte. Ein paar Tage später würde er überlegen, ob ihn vielleicht der Anblick des toten Fleisches auf seinem Teller auf die Idee gebracht hatte.
»Miss Donnel …«
Sie sah ihn vorwurfsvoll an.
» Carrie. Ich glaube, wir sollten einfach zahlen und gehen. Falls Sie nichts dagegen haben. Ich möchte Ihnen noch einmal danken. Sie waren sehr nett zu mir.«
»Keine Ursache.«
Er ließ die Rechnung kommen. Die Fernsehfrau zahlte mit einer Kreditkarte.
»Spendieren Sie mir einen Absacker, Avery? Einen richtigen Drink in einer richtigen Bar? Ich könnte einen gebrauchen. Vielleicht könnten wir einfach irgendwo sitzen und uns unterhalten. Über andere Sachen.«
Sie beugte sich vor und sah ihn verschwörerisch an.
»Übrigens«, sagte sie. »Ich glaube, unsere Kellnerin mag Sie. Schon gemerkt?«
»Gloria?«
Er schaute über die Schulter. Gloria stand zwei Tische hinter ihnen an Sid und Nancy Pierces Tisch und stellte zwei Biere ab. Sie wandte sich um und warf ihm ein Lächeln zu.
»Ach was, ich bin alt genug, um ihr Großvater zu sein«, sagte er.
Carrie lachte. »Sie sind ein Star, Av. Sie waren im Fernsehen. Sie sind jetzt berühmt.«
»Ganz recht«, sagte er. »Und Nixon sitzt immer noch im Weißen Haus.«
12
Es war eine ganz normale Bewegung. Eine kleine Drehung in seine Richtung, als er ihr nach dem Barbesuch die Tür aufhielt. Plötzlich lagen ihre Hände auf seinen Schultern und ihre Lippen auf seinem Mund.
Er hätte nicht überraschter sein können, wenn sie eine Waffe gezückt und ihn erschossen hätte.
13
Er sah zu, wie sie sich im hellen Mondschein, der durchs Fenster fiel, wieder anzog, in grenzenlosem Erstaunen, nach all den Jahren wieder eine Frau in seinem Schlafzimmer zu haben. Noch mehr erstaunte ihn, dass es gerade diese um so viel jüngere und klügere Fernsehreporterin war, die ihn gewollt hatte. Es stimmte ihn traurig, ihre Nacktheit unter der Kleidung verschwinden zu sehen wie einen vorbeiziehenden Vogelschwarm am Herbsthimmel. Ihr Blick fiel auf ein gerahmtes Foto auf der Kommode, während sie sich die Bluse in den Hosenbund steckte. Sie nahm das Foto in die Hand und hielt es ins Licht.
»Das ist Mary?«
»Ja.«
»Sie war schön.«
»Das fand sie nicht.«
»Dann hat sie sich getäuscht.«
Sie stellte das Foto zurück und nahm das andere, das danebenstand.
»Das ist deine Tochter.«
»Das ist Alice, ja.«
»Wie alt ist sie hier, zwanzig?«
»Es war im Jahr vor ihrer Hochzeit. Da ist sie dreiundzwanzig.«
»Sie sieht jünger aus. Ich finde, sie
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