Blutrot
Krankenhaus gekündigt. Wir … ich wollte es dir erzählen … wir versuchen ein Kind zu bekommen.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Seit vier Monaten. Bisher ohne Erfolg. Vielleicht müssen wir zu einigen Untersuchungen gehen, sobald Dick Zeit dafür hat. Mal sehen.«
»Das ist schön, Allie. Ich meine, ein Baby. Deine Mutter wäre …«
»Ich weiß. Sie wäre sehr glücklich darüber gewesen.«
»Ja.«
»Bist du dir sicher, dass alles mit dir in Ordnung ist, Dad?«
»Red ist gestorben«, sagte er.
»Oh, Gott. Wann denn?«
»Sonntag.«
»Oh, Gott.«
Einen Moment lang sagte keiner von beiden ein Wort. Die Stille reichte von Moody Point bis nach Boston, als ob dazwischen nichts existierte.
»Du hast diesen alten Hund geliebt«, sagte sie. »Was ist …«
Er wollte es ihr nicht sagen.
»Red war ein verdammt guter Freund«, sagte er.
»Besorg dir einen neuen Hund, Dad. Wirklich, tu es. Ich weiß, du hältst es vielleicht für zu früh, aber …«
»Das haben mir schon andere Leute geraten. Ich denke drüber nach.«
»Ich halte es für eine gute Idee. Du solltest nicht ganz allein da oben hausen. Und überhaupt, warum kommst du uns nicht mal für eine Weile besuchen. Es wäre schön, dich bei uns zu haben.«
»Ihr habt doch gar keinen Platz für mich, Allie. Und Dick hat seine Arbeit. Ich wäre euch bloß im Weg.«
»Nein, das wärst du nicht.«
»Natürlich. Und das weißt du auch. Mach dir keine Sorgen, mir geht’s gut hier oben.«
»Wie geht’s Opa?«
»Dein Großvater lässt sich nicht unterkriegen. Jedes Mal wenn er umkippt, rappelt er sich wieder auf und ist fieser als je zuvor. Krankenhäuser und Pflegeheime bringen Leute um, die halb so alt sind wie er. Ihn aber nicht.«
Sie lachte. Dann folgte ein kurzer Moment der Stille.
»Dad, du hast nichts von …«
Er wusste, was jetzt kommen würde. Er hatte gehofft, dass sie ihn nur dieses eine Mal nicht darauf ansprechen würde.
Aber sie konnte nicht anders.
»Mit Billy hast du wahrscheinlich nicht gesprochen.«
»Nein.«
»Und du hast es auch nicht vor, oder? Trotz deiner Einsamkeit.«
»Wer sagt denn, dass ich einsam bin?«
»Dad, ich glaube eben nicht, dass es dir gut tut, so zu leben. Billy ist …«
Hinter ihm explodierte das Fenster.
Instinktiv ließ er sich aus dem Sessel zu Boden fallen, während ringsherum Glassplitter durch die Luft flogen. Er spürte, wie sie seine bloßen Arme trafen, sein Gesicht und seinen Hals. Er hörte Allies Schrei, der leise und aus weiter Ferne durch die Leitung kam. Er hielt den Hörer gehoben wie einen Schlagstock, hörte sie rufen: Dad! Dad!, während der Stein über den Fußboden rollte und vor ihm liegen blieb. Er sah, dass mit vier Gummibändern ein wei ßer Zettel daran befestigt war.
Er rappelte sich auf und sprach Alles in Ordnung, Allie, mir geht’s gut in den Hörer, während er zum Fenster ging und ein Auto sah, das mit quietschenden Reifen davonbrauste. Ein dunkles Coupé, das ohne Licht die Stirrup Road zur Hauptstraße hinunterraste.
Ein zweieinhalb Zentimeter langer, dreieckiger Glassplitter steckte tief in seiner Handfläche. Er hörte, wie das Blut auf den Boden tropfte.
»Warte einen Moment«, sagte er in den Hörer und vernahm ihre angstvoll fragende Stimme. »Moment«, wiederholte er. »Alles in Ordnung. Bin gleich zurück.«
Als er in die Küche ging, konnte er hören, wie unter seinen Schuhsohlen die Scherben knirschten. Er
wusch sich über der Spüle die Hand ab und zog vorsichtig den Glassplitter heraus. Er warf ihn ins Spülbecken und hielt die Hand noch einmal unter das fließende Wasser. Dann griff er sich ein paar Papiertücher und drückte sie in der Hand zusammen, um die Blutung zu stoppen.
Schließlich kehrte er zum Telefon zurück, um seine Tochter mit einer Notlüge zu beruhigen.
»Mein Gott, Dad, was war das?«
»Wir haben hier in letzter Zeit ein paar kleine Probleme. Irgendwelche Jungs schmeißen den Leuten abends die Scheiben ein. Heute war wohl meine dran. Aber mir geht’s gut. Musste bloß den kleinen Kratzer an der Hand versorgen. Nichts Schlimmes. Aber es sieht aus, als müsste ich die Scherben aufsaugen. Ich lege jetzt lieber auf. Mach so weiter, und viel Spaß beim Essen. Und mach dir keine Sorgen um mich. Es war bloß ein Dummejungenstreich.«
»Ein Streich! Allmächtiger!«
»Reg dich nicht auf. Bitte.«
»Bist du dir sicher, dass es dir gut geht?«
»Versprochen.«
Nachdem er sie beruhigt hatte und das Gespräch beendet war, sah er, dass die
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