Blutrote Kuesse
steuerte auf die Tür zu.
»Aber Mom... «
Ich lief ihr nach und versuchte, sie zum Bleiben zu bewegen, aber sie ignorierte mich. Von der Veranda aus beäugten mich meine Großeltern, die Gesichter dräuend wie Gewitterwolken, während meine Mutter ins Auto stieg und davonfuhr. Ich musste wirklich den Vermieter anrufen.
Der Vermieter, Mr. Josephs, teilte mir mit, ich könne am Wochenende einziehen.
Mir konnte es nicht schnell genug gehen. Um mich von den Gedanken darüber abzulenken, was Bones wohl gerade tat, schlug ich die Zeit mit Duschen, Haarewaschen und Zähneputzen tot. Vielleicht waren meine Sorgen unbegründet. Vielleicht war es für ihn keine große Sache, und ich würde ihm nicht mal zu sagen brauchen, dass so etwas nicht noch einmal passieren durfte. Schließlich war der Mann ein paar hundert Jahre älter als ich und ein ehemaliger Gigolo. Ich hatte ihm gewiss nicht die Unschuld geraubt.
Gegen sechs Uhr bog ein Wagen in unsere Auffahrt ein, und er hörte sich nicht an wie der meiner Mutter. Neugierig warf ich einen Blick aus dem Fenster und sah, dass es ein Taxi war. Ein vertrauter gebleichter Haarschopf tauchte daraus auf, und Bones stieg aus.
Was machte der denn hier? Mit einem weiteren panischen Blick vergewisserte ich mich, dass meine Mutter noch immer nicht zurück war, aber falls sie jetzt hereinschneite und ihn sah...
Ich rannte so hastig die Treppe hinunter, dass ich stolperte und unsanft auf dem Treppenabsatz landete, als mein Großvater gerade die Tür öffnete.
»Wer sind Sie?«, fragte er Bones.
Ich legte mir schon eine Geschichte zurecht, er wäre ein Kommilitone, da antwortete Bones mit ausgesuchter Höflichkeit.
»Ich bin ein nettes junges Mädchen, das Ihre Enkelin fürs Wochenende abholen will.«
Häh?
Meine Großmutter streckte auch den Kopf heraus. Als sie Bones vor der Tür stehen sah, blieb ihr der Mund offen stehen.
»Wer sind Sie?«, wollte auch sie wissen.
»Ich bin ein nettes junges Mädchen, das Ihre Enkelin fürs Wochenende abholen will«, wiederholte Bones seinen sonderbaren Satz und starrte sie mit grün funkelnden Augen unverwandt an. Bald war ihr Blick genauso glasig wie der ihres Mannes, dann nickte sie einmal.
»Ach, ist das nicht entzückend? Sie sind ein nettes junges Mädchen. Seien Sie ihr eine gute Freundin und bringen Sie sie zur Vernunft. Sie hat lauter Knutschflecke am Hals und ist erst heute Nachmittag nach Hause gekommen.«
Grundgütiger, am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Bones verkniff sich ein Lachen und nickte ernst. »Keine Angst, Omilein. Wir besuchen eine Bibelfreizeit, um ihr den Teufel auszutreiben.«
»Das ist gut«, sagte mein Großvater beifällig und mit ausdruckslosem Gesicht. »Sie hat es nötig. War schon immer so ungebärdig.«
»Geht schön Teetrinken ihr beiden, solange wir packen. Na los.«
Den Blick noch umflort, verzogen sie sich in die Küche. Kurz darauf konnte ich hören, wie das Wasser in den Kessel strömte. Sie mochten eigentlich gar keinen Tee.
»Was ist bloß in dich gefahren?«, fragte ich in wütendem Flüsterton. »Wäre es doch nur wie im Film, und du könntest nur eintreten, wenn man dich hereinbittet!«
Er lachte. »Tut mir leid, Süße. Vampire können gehen, wohin sie wollen.«
»Warum bist du hier? Und warum hast du meine Großeltern glauben gemacht, du wärst ein Mädchen?«
»Ein nettes Mädchen«, berichtigte er mich lächelnd. »Sie sollen ja nicht denken, du hättest schlechten Umgang, oder?«
Er musste unbedingt so schnell wie möglich wieder verschwinden. Käme meine Mutter zurück, brauchte es mehr als einen Blick aus seinen grünen Augen, um sie davon zu überzeugen, dass er nicht war, was er zu sein schien... ihr wahr gewordener Albtraum.
»Du musst gehen. Meine Mutter bekommt einen Herzinfarkt, wenn sie dich sieht.«
»Ich bin nicht ohne Grund hier«, sagte er ruhig. »Ich will dich zwar nicht noch weiter in die Sache hineinziehen, aber letzte Nacht wolltest du unbedingt informiert werden, sobald ich herausgefunden habe, wo der Club ist. Ich weiß es jetzt. Er ist in Charlotte, und ich fliege heute Abend hin. Ich habe dir ein Ticket gekauft, falls du mitkommen willst. Falls nicht, gehe ich in eure Küche und überzeuge deine Großeltern davon, dass ich nie hier gewesen bin. Dann musst du deiner Mutter nachher nicht erklären, was ich hier zu suchen hatte. Die Entscheidung liegt bei dir, aber du musst sie gleich treffen.«
Ich wusste schon, wie meine Entscheidung ausfallen
Weitere Kostenlose Bücher