Blutrote Kuesse
würde, aber ich war immer noch nicht ganz darüber hinweg, wie übel die ganze Sache hätte ausgehen können. »Warum hast du mich nicht angerufen und bist einfach so hergekommen?«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Habe ich doch. Als ich dich sprechen wollte, hat dein Großvater sofort wieder aufgelegt. Du solltest dir wirklich ein Handy zulegen. Oder sie daran erinnern, dass du zweiundzwanzig bist und Anrufe von einem Herrn entgegennehmen darfst.«
Die Sache mit dem >Herrn< ließ ich auf sich beruhen. »Na ja, sie sind eben altmodisch, und als sie meinen Hals gesehen haben, sind sie komplett ausgeflippt... das war übrigens ziemlich rücksichtslos von dir! Überall deine Markierungen zu hinterlassen: Seht alle her, das war ich! <«
Ein Grinsen ließ seine Mundwinkel zucken. »Wollen wir doch mal fair bleiben, Kätzchen. Hätte ich keine übernatürlichen Selbstheilungskräfte, hätte ich auch lauter Knutschflecke, und mein Rücken wäre ganz zerkratzt von deinen Nägeln.«
Themenwechsel. Themenwechsel!
»Was heute Abend betrifft«, fuhr ich hastig fort, »ist dir wohl klar, dass ich mitkomme. Ich habe dir ja bereits gesagt, dass ich Hennessey aufhalten will, und das war mein Ernst. Du hast schon herausgefunden, wo der Club ist? Das ging aber schnell.«
»Eigentlich wusste ich es sogar schon früher«, sagte er an den Türrahmen gelehnt. »Heute Morgen, während du noch geschlafen hast, habe ich ein paar Nachforschungen angestellt. Ich wollte es dir sagen, sobald du aufwachst, aber dann bist du davongerannt, als wäre der Leibhaftige hinter dir her, und ich kam nicht mehr dazu.«
Ich musste den Blick senken. Ihm in die Augen zu sehen war zu viel verlangt.
»Ich möchte nicht darüber reden. Meine...« Wie sollte ich es ausdrücken? »Meine Zweifel bezüglich gestern Nacht werden mich nicht davon abhalten, einem Mörder das Handwerk zu legen, so oberflächlich bin ich nicht. Aber ich glaube, wir sollten die Sache auf sich beruhen lassen.«
Er lächelte weiter. »Zweifel? Oh, Kätzchen. Du brichst mir das Herz.«
Nun hob ich doch den Kopf. Machte er sich über mich lustig? Ich wusste es nicht. »Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche. Wenn du willst, können wir, äh, später darüber reden. Wenn wir aus dem Club zurück sind. Warte hier, ich muss noch packen.«
Er hielt mir die Tür auf. »Nicht nötig, ich habe dir deine Arbeitskleidung mitgebracht. Nach dir.«
»Ich habe dich hier noch nie gesehen, Zuckerschnecke«, sagte der Vampir und setzte sich neben mich. »Ich bin Charlie.«
Bingo! Vor Freude hätte ich beinahe in die Hände geklatscht. Wir waren um zehn Uhr in Charlotte gelandet, hatten uns um elf im Hotel angemeldet und waren kurz vor Mitternacht im Flame eingetroffen. Seit zwei Stunden saß ich nun schon in diesem widerlichen Schuppen, und dank des Nuttenfummels, den ich anhatte, war ich alles andere als einsam gewesen.
»Genauso süß und schnell vernascht«, antwortete ich, während ich abschätzte, wie mächtig er war. Kein Meister, aber stark. »Auf der Suche nach einem Abenteuer, Süßer?«
Er ließ die Finger über meinen Arm gleiten. »Darauf kannst du wetten, Schnecke.«
Charlie hatte den typischen Südstaatenakzent. Sein Haar war braun, sein Lächeln freundlich, sein Körperbau athletisch. Die gedehnte Aussprache und das lässige Auftreten ließen ihn noch sympathischer erscheinen. Wie sollte jemand, der einen so charmanten Dialekt sprach, einen schlechten Charakter haben?
Der Typ links neben mir, der schon den ganzen Abend über versucht hatte, bei mir zu landen, warf ihm einen feindseligen Blick zu.
»Hey, Mister, ich habe ältere Rechte...«
»Wieso machst du nicht einfach die Fliege?«, schnitt Charlie ihm noch immer lächelnd das Wort ab. »Und zwar fix. Ich kann es nämlich nicht ab, wenn ich mich wiederholen muss.«
Ich an seiner Stelle hätte die Drohung herausgehört, die sich unter seiner kumpelhaften Art verbarg, und mich vorsichtig verhalten.
Aber er war betrunken, ahnungslos und sich absolut nicht hewusst, in welcher Gefahr er schwebte.
»Du hast mich wohl nicht richtig verstanden«, nuschelte der Mann und langte schwerfällig nach ihm. »Ich sagte, ich habe ältere Rechte.«
Charlie hörte nicht auf zu lächeln. Er packte den Mann am Handgelenk und zerrte ihn vom Stuhl.
»Darüber brauchen wir uns ja nicht gleich in die Wolle zukriegen und einen Riesenkrawall zu veranstalten«, meinte er und zwinkerte mir zu. »Wir werfen eine Münze, Zuckerschnecke. Ich habe
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