Blutrote Lilien
wenn die Sonne sie direkt traf. Auch der Schnitt des Kleides war nach der neusten Mode. Ganz im Gegensatz zu meinem eigenen.
Sie warf mir ein kleines Lächeln zu, das ich erwiderte.
»Augen nach vorn, Mademoiselle!« Das Fräulein pikste mich mit seinem dünnen Zeigefinger schmerzhaft in die Schulter. »Ihr seid schließlich bei mir, um etwas zu lernen, und nicht darum, Euch ablenken zu lassen. Konzentration, meine Liebe. Gute Manieren wollen erlernt werden, sie fliegen einem nicht plötzlich zu. Passt also besser auf, damit ich Eurem Vater von Eurem Fleiß berichten kann.«
Es dauerte keine halbe Stunde, bis ich davon überzeugt war, dass das Fräulein eine garstige alte Hexe war, die besser den Namen Fräulein Meckerziege verdient hätte.
Wir begannen mit Konversation, die sich auf die Themen Mode und Haushaltsführung beschränkte. Als ich von der Falknerei zu erzählen begann, unterbrach mich das Fräulein mit den Worten: »Euren Gegenüber wird es kaum interessieren, was eine junge Dame zum Thema der Jagd zu sagen hat, schließlich gibt es hier am Hof genug Männer, die sich mit dem Thema ganz ausgezeichnet auskennen. Bleibt also auf dem Parkett, auf dem Ihr Euch auskennt.«
»Aber das ist das Parkett, auf dem ich mich auskenne«, erwiderte ich empört.
»Werdet nicht unverschämt, junge Dame! Vorlaute Mädchen mag niemand gern, genauso wenig wie besserwisserische. Belehrungen hebt Euch für die Diener auf, die Euch dabei helfen werden, den Haushalt zu führen.«
Vor lauter Wut über solchen Unfug pochte mir das Herz rasend schnell und ich schwitzte trotz der Kälte in dem unbeheizten Raum.
Doch ich war nicht die Einzige, die in bisher unbekannte Fettnäpfchen trat, auch Sophie musste sich anhören, dass ihre Konversationsfähigkeiten unterentwickelt seien, weil sie zu leise und zu wenig amüsant erzähle. Daraufhin lief sie knallrot an und sank noch ein Stück weiter in sich zusammen, worauf ich dem Fräulein am liebsten die Perücke vom Kopf gerissen hätte, so sehr ärgerte ich mich über es. Denn ich war mir sicher, dass Sophie durchaus eine Unterhaltung bestreiten konnte, wenn man sie nur nicht drängte. Sie war einfach schüchtern, das war alles.
Als Madame Morens fragte, in welchen Teil eines Schlosses wir einen unerwarteten Gast führen würden, sagte ich unvorsichtig: »Die Küche« – schließlich mochte es ja sein, dass dieser Gast weit gereist und nun hungrig war –, und wurde für diese Antwort sofort in den Arm gekniffen.
Während ich mir über die schmerzende Stelle rieb, erklärte das Fräulein bestimmt: »Das werde ich ab sofort immer dann tun, wenn Ihr solche unsinnigen Antworten gebt, Mademoiselle. Lasst es Euch eine Lehre sein. Wenn Ihr nicht lernt, Euer Temperament zu zügeln, werdet Ihr am Ende der Woche einen blauen Arm haben. Ihr lernt also besser schnell.«
Zu Hause in Chantilly hatten die Erzieher nie zu solchen Methoden gegriffen und außerdem hatten sie behauptet, ich stelle mich sehr gut an.
Als Sophie aus lauter Angst vor dem Kniff in den Arm leise »Die Bibliothek« stotterte, hob das Fräulein die Hände und klagte lauthals: »Was ist nur mit diesen jungen Dingern los, bringen sie Euch überhaupt nichts Vernünftiges bei? Was glaubt Ihr denn, was Euer Gast in der Bibliothek will?«
»Er könnte lesen, während wir sein Zimmer herrichten lassen.«
»Lesen, papperlapapp!« Madame Morens winkte abwehrend mit der Hand, als handle es sich dabei um etwas Schmutziges. »Solcherlei Dinge verderben bloß den Verstand. Seht Euch nur den Prinzen Condé an. Ich bin mir sicher, hätte sein Erzieher ihm nicht solche Flausen in den Kopf gesetzt, dann müssten wir uns nun nicht mit seinem Naturell herumschlagen.«
»Was stimmt denn nicht mit seinem Naturell?«, fragte ich neugierig nach dem Prinzen, über den die ganze Welt zu sprechen schien.
Irritiert sah mich Madame Morens an. »Nun ja, er ist anstrengend.«
»Anstrengend?«
Sie nickte ungeduldig. »Immerzu diese neumodischen Ideen. Immerzu will er etwas ändern, ist unzufrieden oder beleidigend. Neulich hat er der Marquise de Verneuil gesagt, sie wäre dumm wie ein Esel und er zöge es vor, sich mit der Küchenhilfe zu unterhalten als noch eine Minute länger mit ihr. Ist das zu fassen?«
Ich kicherte.
»Das ist nicht komisch, junge Dame! Das ist ein Skandal. Einer anständigen Dame eine solche Unverschämtheit ins Gesicht zu sagen. Auf einem Ball! Der Favoritin des Königs dazu. Unerhört!«
»Was hat die Marquise denn
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