Blutrote Lilien
seinem Finger pikste, weil ich mich nicht weit genug zur Seite gebeugt hatte. Dabei rief sie immer wieder: »Grazie! Grazie!« Doch je mehr sie mich pikte, desto mehr versteifte ich mich und schon nach kurzer Zeit war ich schweißgebadet und knallrot im Gesicht.
Sophie erging es nicht besser, sie keuchte und vertrat sich bei dem Versuch einer Drehung den Fuß, worauf Madame Morens sie unwillig zu einem Stuhl schickte, auf den sie sich fallen ließ, und den schmerzenden Knöchel rieb.
Am Ende dieser Stunde tat mir das Gesicht weh vom vielen Lächeln und ich stand kurz davor, Madame Morens den Hals umzudrehen, nachdem sie festgestellt hatte, dass mein Naturell noch viel zu wünschen übrig ließ – ebenso wie das des Prinzen Condé.
»Zu meiner Zeit waren die jungen Damen wesentlich besser erzogen. Eine Schande ist das, eine Schande!« Während sie den Kopf schüttelte, wackelte das Kissen auf ihrem Kopf gefährlich hin und her. Fasziniert folgten wir der Bewegung. Dadurch waren Sophie und ich so sehr abgelenkt, dass wir zu spät merkten, dass sich das Fräulein von uns verabschiedete. Nachdem sie uns ein abschließendes Mal Unaufmerksamkeit vorgeworfen hatte, rauschte sie aus dem Raum und ließ uns erschöpft zurück.
Einen Moment standen wir schweigend im Saal, dann brachen wir in Gelächter aus. Aus den Tiefen ihres Rockes kramte Sophie ein Bonbon, das sie mir entgegenhielt und dabei schüchtern lächelte.
»Danke«, sagte ich und ließ mich ziemlich unelegant auf den Boden sinken, wo ich im Schneidersitz blieb und an die Decke starrte. Orson kam zu uns herübergetappert und schnüffelte neugierig an Sophies Händen. Auch er bekam ein Bonbon, das er gierig verschlang, als hätte er schon seit Tagen nichts mehr bekommen, dieser Vielfraß.
»Wenn das jeden Tag so anstrengend wird, habe ich ihr spätestens in einer Woche den Hals umgedreht. Tu dies nicht und tu jenes nicht, sei so, aber nicht so, und lächeln, lächeln, lächeln«, imitierte ich das Fräulein, bis Sophie grinsen musste.
»Du wirst schon lernen, sie zu ertragen«, sagte sie.
»Mhm«, brummte ich und besah mir die Hugenottin, über die Henri so abfällig die Nase gerümpft hatte, genauer. Ihr Blick ruhte auf den verschränkten Fingern in ihrem Schoß und ein sanftes Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. Sie hatte lange Wimpern und ein herzförmiges Gesicht und ihre Anmut erinnerte mich an das Glasbild der Psyche, der Gattin des Eros, das in unserem Schloss Écouen hing.
Wir unterhielten uns und ich merkte schnell, dass Sophie ganz anders war als ich. Sie war sanft und nachgiebig, ihr fehlte das hitzige Temperament, das die Montmorencys auszeichnete. Trotzdem mochte ich sie, denn obwohl sie Fremden gegenüber schüchtern war, hielt sie mit ihrer Meinung doch nicht hinter dem Berg. Das gefiel mir.
Alles in allem machte Henris gehasste Hugenottin einen harmlosen Eindruck auf mich. Sie wirkte kein bisschen wie die Intrigantin, als die Henri alle Hugenotten gern hinstellte.
Als Sophie aufbrechen musste, nahm ich zum Abschied ihre Hand und sagte: »Du gefällst mir. Ich habe beschlossen, dass wir Freundinnen werden müssen.«
Über das Kompliment errötete sie, dann fragte sie sanft spottend: »Und was du beschließt, Charlotte de Montmorency, das geschieht für gewöhnlich auch?«
Ich nickte. »Aber ja, Sophie. Das Gegenteil ist absolut ausgeschlossen.«
»Aber ob dein Vater darüber ebenso begeistert sein wird, mag ich bezweifeln.«
»Du meinst, weil deine Familie protestantisch ist?«
Sie bejahte und empört fuhr ich auf: »Herrgott noch mal, warum reitet nur alle Welt so darauf herum? Kann man denn kein vernünftiges Gespräch mehr führen, ohne dass diese Sache zur Sprache kommt?« Verschwörerisch beugte ich mich zu ihr. »Glaub mir, wenn der Hof von Leuten wie der Madame Morens nur so wimmelt, dann müssen wir zusammenhalten, sonst stellen wir bald genauso schlaue Fragen wie die Marquise de Verneuil.«
Daraufhin lachte Sophie endlich und nickte. »Wenn das so ist, wer bin ich dann, dir zu widersprechen.«
Ihr Lachen begleitete uns aus dem Saal, in dem meine erste Lehrstunde am Hof ein unrühmliches Ende gefunden hatte. Denn zu Manons großer Enttäuschung musste der erste Eindruck, den das Fräulein von mir gewonnen hatte, sicherlich katastrophal ausgefallen sein. Aber es fiel mir schwer, darüber Bedauern zu empfinden, denn ich war mit meinen Gedanken längst bei de Bassompierre.
- 5 -
Sophie wurde nach dem Unterricht von
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