Blutrote Lilien
die Schultern ein Stück nach oben und schüttelte den Kopf. Was immer er gerade gehört hatte, es gefiel ihm offenbar nicht. Einmal sah er noch zu mir herüber, dann trat er vom Fenster weg und verschwand. Enttäuscht darüber trat auch ich wieder weiter ins Zimmer.
Ich musste über meine Gedanken den Kopf schütteln. Gut, dass sie niemand hören konnte, sonst hätten sie mich zweifellos für töricht gehalten. Ein Geist im Louvre! Ich hatte wohl zu viele von Berthas Geschichten gehört. Wenn es im Louvre tatsächlich einen Geist geben würde, dann war ich mir sicher, hätte Marschall de Vitry ihn schon aufgespürt und aus dem Schloss gejagt.
Ich rief Orson an meine Seite und verließ hastig das Appartement, um zu meiner ersten Unterrichtsstunde zu gehen. Nachdem ich um drei Ecken gelaufen war, musste ich mir eingestehen, dass ich besser nach einem Diener geschickt hätte, um nach dem Weg zu fragen. Wie schon am Tag zuvor verwirrten mich die labyrinthähnlichen Gänge des Louvre und schon nach kurzer Zeit hatte ich sämtliche Orientierung verloren.
Aber während ich die Gänge entlangeilte und hoffte, wenigstens in die richtige Richtung zu gehen, waren es keine Gedanken an den Marquis de Bassompierre, die mich begleiteten, sondern die Erinnerungen an den mysteriösen Fremden am Fenster.
Ob ich ihn am Abend wiedersehen würde?
Madame Morens war ein älteres Fräulein, das Henri schadenfroh Madame Coiffure, Madame Kopfputz, genannt hatte – und als ich sie zum ersten Mal sah, wusste ich auch warum.
Auf ihrem Kopf saß etwas, das wahrscheinlich eine Perücke sein sollte, in Wirklichkeit aber mehr Ähnlichkeit mit dem Innenleben eines aufgeschlitzten Kissens besaß. Als das Fräulein einmal jung gewesen war, mochte es vielleicht eine Perücke gewesen sein, aber inzwischen war das Ding so alt und abgenutzt, dass die echten grauen Haare an einigen Stellen hindurchschauten.
Das Fräulein tat mir leid. Wahrscheinlich konnte es sich keine neue Perücke leisten und musste zusätzlich auch noch den Spott des Hofes ertragen.
Mein Mitleid hielt jedoch nur genau bis zu dem Moment an, als das Fräulein mit piepsender Stimme sagte: »Ihr seid zu spät, Mademoiselle de Montmorency. Unpünktlichkeit ist keine Tugend, mit der sich eine Dame schmücken sollte. Seht zu, dass Ihr Euch diese Eigenheit wieder abgewöhnt, sonst sehe ich mich gezwungen, Eurem Vater davon zu berichten, und ich bin mir sicher, dass sie ihm genauso wenig gefällt wie mir.«
Verärgert setzte ich mich auf den Stuhl, den sie mir zuwies, während Orson in eine Ecke tapste und sich dort niederließ. Von Zu-spät-Sein konnte meiner Meinung nach überhaupt nicht die Rede sein. Keine zehn Minuten nach dem verabredeten Zeitpunkt war ich in dem kleinen Saal im Südflügel eingetroffen, dessen Wandtäfelung aus geschnitzten Holzkartuschen bestand, deren Mitte von Blumen umrankte Tiere zeigten. Leider war ich mit meiner Frage nach dem Weg auch noch an einen Pagen geraten, der selbst erst wenige Tage am Hof diente. Nachdem ich mich mehrfach verlaufen hatte und in der Eile die Treppen rauf- und runtergerannt war, rang ich noch immer um Luft. Und es kam mir ganz erstaunlich vor, dass ich den Saal überhaupt gefunden hatte, wenn man bedachte, dass es mehrere Dutzend von ihnen im Louvre gab, die selbst die Diener nicht alle zu kennen schienen.
Daher setzte ich zu einer Verteidigungsrede an: »Verzeiht, Madame, aber ich bin gestern erst im Louvre angekommen und der Palast ist einfach zu groß ...«
»Redet, wenn Ihr dazu aufgefordert werdet, Kind. Ihr könnt nicht ungehemmt drauflosplappern, wie es Euch in den Sinn kommt. Ihr seid nun bei Hofe und da gilt es, sich an die Regeln zu halten.«
Großartig , dachte ich, gleich am ersten Tag verstieß ich gegen die Regeln, nur weil ich erklären wollte, warum ich ein paar Minuten später als vereinbart gekommen war. Der Sinn dieser Regel offenbarte sich mir nicht im Geringsten. Unwillig klopfte ich mit der Ferse auf die glasierten Fußbodenfliesen.
Neben mir saß ein blondes Mädchen, das den Kopf schüchtern gesenkt hielt und die Hände im Schoß gefaltet hatte. Das musste Sophie de Rohan-Montbazon sein. Obwohl sie Hugenottin war, wie ich wusste, zeugte ihre Kleidung vom Rang und Reichtum ihrer Familie. Der Rock bestand aus dunkelblauem Samt, der mit Gold umwickelter Pergamentschnur bestickt war. Auf dem dunklen Hintergrund entfaltete sich ein Meer aus Blumen, die ineinander verschlungen waren und aufleuchteten,
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