Blutrote Lilien
Punkt. Doch der Falke folgte ihm und versuchte, über ihn zu kommen. Als es ihm endlich gelungen war, stieß er auf den anderen Vogel hinunter.
Das war für den Falken der gefährlichste Augenblick, denn der Reiher kämpfte um sein Leben und wehrte sich mit seinem spitzen Schnabel, der dem Falken ernsthafte Verletzungen zufügen konnte. Doch nach einigem Hin und Her konnten wir sehen, wie der dunkle Punkt am Horizont zu Boden fiel.
Stolz erfüllte mich, denn nicht immer gelang die Jagd auf Reiher. Im Kräftespiel der Natur war es durchaus möglich, dass die Beute entkam, weil das Geschick auf ihrer Seite stand. Dann musste der Falke unverrichteter Dinge zurückkehren. Ich ließ nie eine entkommene Beute schießen, denn es schien mir, dass ich kein Recht hatte einzugreifen, wenn der Kampf zwischen dem Falken und dem Reiher bereits entschieden war.
Ich griff nach dem Federspiel, einem Lederkissen, auf dem beiderseitig Vogelflügel aufgenäht waren. Dieses Kissen hing an einer Schnur, die ich über meinem Kopf mehrmals kreisen ließ. Das verstand Mars als Zeichen, zu mir zurückzukehren. Es dauerte nicht lange, bis der Falke wieder auf meiner Faust saß. An dem Federspiel war ein Fleischbrocken befestigt, den er gierig hinunterschluckte. Es war seine Belohnung, denn heute hatte Mars sich von seiner besten Seite gezeigt.
Um mich herum herrschte Stille. Ein Blick in die Gesichter der Jäger zeigte sowohl Bewunderung als auch Verärgerung, weil sie gegen ein Mädchen gewettet und verloren hatten. Nur Henri strahlte zufrieden.
»Nun, Herzog, wollt Ihr meiner Schwester nicht gratulieren? Es sieht so aus, als verstünde sie von der Falknerei ebenso viel wie die Falkner des Königs.« Ein unbeschwertes Lachen milderte die Worte ab und der Herzog ließ sich zu einem herablassenden Lächeln hinreißen.
»Ich gebe zu, dass es recht erstaunlich ist für eine junge Dame«, sagte er.
»Im Gegenteil«, erwiderte ich, »den Falken scheint es gleich zu sein, ob sie von einer Frau oder einem Mann gefüttert werden, Herzog.«
Meine Worte ließen die Jagdgesellschaft in Gelächter ausbrechen und die Königin winkte dem Herzog auffordernd zu.
»Gebt ihr schon ihren Wettlohn, d’Épernon. Oder wollt Ihr, dass man Euch nachsagt, Ihr wäret ein schlechter Verlierer?«
Dass der Herzog kein guter Verlierer war, sah man ihm an, doch da er die Königin nicht verärgern wollte, griff er nach dem Geldbeutel.
Aber ich kam nicht dazu, meinen Lohn einzustreichen. Ganz in der Nähe ertönte plötzlich ein Schuss, und die Stute, die ich bis dahin für zahm und gut ausgebildet gehalten hatte, erschreckte sich so fürchterlich, dass sie davonjagte, mitten hinein in den Wald. Mit mir im Sattel.
Mars, der noch immer auf meiner Faust saß, verstand meine hektischen Bewegungen als Zeichen, erneut aufzusteigen, und flog in die Bäume davon.
Der Hals der Stute war ganz steif geworden, und so sehr ich auch versuchte, die Zügel anzuziehen und das Tier zum Halten zu zwingen, es gelang mir nicht. Das Pferd brach durch das Unterholz, Zweige peitschten mir ins Gesicht und mehr als einmal drohte ich aus dem Sattel zu stürzen. Die Zügel gruben sich in meine Hände und ich war froh, noch immer die Handschuhe zu tragen.
Hinter mir hörte ich die Schreie der Jäger, aber ich konnte nicht verstehen, was sie riefen, so sehr rauschte mir vor Angst das Blut in den Ohren. Ich sah mich schon mit gebrochenem Genick im Graben liegen. Wenn ich aus dem Sattel glitt und sich mein Bein im Steigbügel verhedderte, lief ich Gefahr, zu Tode geschleift zu werden.
So fest ich konnte, umklammerte ich die Zügel, doch das Leder schnürte mir das Blut ab und langsam verlor ich das Gefühl in den Fingern.
Auf einmal sah ich, wie vor mir ein Reiter aus dem Gebüsch brach. Obwohl auf dem Weg kaum Platz für uns beide war, setzte er sein Pferd neben meines. Mehrfach versuchte er, nach dem Halfter zu greifen. Als es ihm endlich gelang und er fest daran zog, kam zwar mein Pferd zum Stehen, aber durch die raue Behandlung verstimmt, stieg es nach oben. Der Schwung riss mich nach hinten, ich rutschte unelegant über den Hintern des Pferdes und landete unsanft auf meinem eigenen.
Einen Moment saß ich einfach nur auf dem Boden und betrachtete meine Knie.
Mein Herz raste weiter, als würde das Pferd noch immer durch den Wald jagen, und es dauerte eine Weile, bis ich aufstehen konnte. Mir zitterten die Knie und jeder Knochen im Leib tat mir weh, von meinem Hinterteil ganz zu
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