Blutrote Schwestern
und kehre zu dem Buch zurück, über dem ich brüte:
Mythen! Legenden! Monster!
von Dorothea Silverclaw. Ich bezweifele, dass dies ihr richtiger Name ist, ebenso wie ich bezweifele, dass sie überhaupt weiß, was ein Fenris ist. Die Autorin nennt sie Werwölfe und beschreibt sie als niedliche, kleine Wölfe, die sich in heiße Teenies verwandeln. Obendrein hängt sie dem gesamten Aberglauben an: Knoblauch stoppt Vampire, Geister können fließendes Wasser nicht überqueren, der siebte Sohn eines siebten Sohnes ist verflucht, Feen wollen einem die Töchter stehlen. Na klar, Dorothea. Ich wage zu behaupten, dass die Sachen, die wir von Pa Reynolds gelernt haben, bei weitem hilfreicher sind als alles, was ich bis jetzt in der Bibliothek an Werwolfkunde gefunden habe.
Aber obwohl Silas und ich alles aufgeschrieben haben, was Pa Reynolds uns jemals über den Fenris erzählt hat, und ich es mit allen sinnvollen Hinweisen aus der Bibliothek kombiniert habe, können wir
immer
noch nichts Bestimmtes über den Welpen sagen.
Rosie schlägt ihr Buch zu. »Vielleicht machen wir es viel zu kompliziert.«
Ich seufze und lasse den Stapel Papier in meiner Hand fallen. »Vielleicht. Oder das Ganze ist ohnehin sinnlos. Wir müssen wieder jagen gehen, selbst wenn wir nichts töten können, vielleicht hören wir ja etwas oder können Informationen sammeln oder
irgendwas.
« Selbst ich kann die Verzweiflung in meiner Stimme hören. Zurzeit beherrscht der Gedanke, den Welpen zu finden, meinen Kopf wie eine Sucht. Der Gedanke, mit leeren Händen nach Hause zurückkehren zu müssen, schmerzt nahezu körperlich.
»Mach dir keine Sorgen, Scarlett«, sagt Rosie sanft. Sie hat diesen besonderen Tonfall benutzt, mit dem nur sie mich beruhigen kann: das erste Mal, als ich weinte, weil ich feststellte, wie mein verstümmeltes Gesicht aussah. Als uns das Geld ausging und ich die ersten Hinterlassenschaften von Oma March verkaufte. Als ich mir sicher war, dass wir nun, da Silas fort war, Ellison übernehmen würden. Es kommt nicht darauf an, was sie sagt, sondern wie sie es sagt – in einer Art, die mich ihr glauben lässt. Egal wie die Wahrheit aussieht. »Wir gehen heute Nacht jagen«, setzt sie hinzu. Ich schaue ihr in die Augen. Die mysteriöse Veränderung ist nach wie vor da, umhüllt von einem sanften, wohligen Ausdruck.
Ihr Tonfall ist vertraut, aber der Blick in ihren Augen ist immer noch neu und fremd. Wir müssen wieder jagen gehen, nicht nur weil wir Informationen brauchen. Die Jagd bringt das Gefühl des Einsseins zurück, verbindet das zerrissene Herz aufs Neue. Nicht dass es viel Sinn hätte, da die Fenris so sehr auf andere Dinge konzentriert sind. Aber es
richtet
immer noch die Dinge, nicht nur mit Rosie, sondern auch mit Silas. Es verbindet uns untereinander, unabhängig davon, ob meine Schwester einen merkwürdigen Ausdruck in den Augen hat oder nicht.
Ich nicke. »Lasst uns früh am Abend aufbrechen.«
»Okay, aber vielleicht sollten wir unseren Jagdplan ändern«, ergänzt Silas, steht auf und stellt seinen Teller neben die Spüle. »Schließlich brauchen wir
schnell
Informationen. Das ist keine normale Jagd.«
»Irgendwelche Ideen?«, frage ich. Die Situation fühlt sich bereits besser an – Silas und ich planen eine Jagd und bereiten uns darauf vor, in die Nacht hinauszugehen.
Silas zieht die Schultern hoch, als er antwortet. »Wir könnten uns aufteilen, um mehr Raum abzudecken.«
Ich runzele die Stirn, aber was soll ich sagen?
Nein, Rosie kann nicht alleine gehen, das packt sie nicht?
Dass ich jagen wollte, um die Bande zwischen mir und Rosie, ebenso die zwischen Silas und mir zu stärken? Ich will so gerne nein sagen, aber die Wahrheit ist: Es ist eine gute Taktik, und wir müssen verhindern, dass noch mehr Leute sterben.
Ich seufze und nicke zustimmend. An meine Verletzungen verschwende ich keinen Gedanken, auch nicht daran, dass die Fenris hier stärker sind als sonst. Wir werden es schaffen, davon bin ich überzeugt.
Einige Stunden später stehen wir alle drei am Fuß des Treppenhauses. Das Licht der Laternen draußen scheint auf die Gesichter von Rosie und Silas, und einen Moment lang sieht es so aus, als wären sie ebenfalls vernarbt. Rosie wirkt nervös, aber ich weiß, dass sie das niemals zugeben würde.
Du kannst in dieser Stadt alleine jagen, Rosie. Höchstwahrscheinlich besser, als ich es kann.
»Wir treffen uns wieder hier, um … drei Uhr morgens?«, schlage ich vor und lasse die Finger über
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