Blutrote Schwestern
zerspringen. Ich bin voller Energie, mein Körper bettelt mich an, etwas zu unternehmen,
irgendetwas,
statt auch nur noch eine Sekunde länger im Apartment herumzusitzen.
Silas ächzt, als er sich in Richtung des Badezimmers streckt, wo Scarlett gerade duscht. »Zur Hölle damit,
ein
Wolf. Wenn sie nur einen einzigen Wolf einsargen könnte, würde sie sich entspannen, denke ich. Kann ich noch irgendetwas tun,
irgendetwas,
an das ich noch nicht gedacht habe?«
»Nein«, seufze ich. »Ich glaube nicht. Du weißt, wie sie ist.«
»Ja«, antwortet Silas ruhig, doch da blitzt eine neue Schuld in seinen Augen auf. »Aber sie ist nicht immer so. Sie kann nicht mal richtig geradeaus denken. Bringe ich …« Er verstummt und blickt zu Boden, als er in die Küche geht. »Bringe ich euch beide auseinander?«
Ich blinzele überrascht – hat er mich gerade gefragt, was ich ihm bedeute? Er schüttet sich ein Glas Wasser ein, während ich nach Worten suche und keine finde.
Als ich nichts sage, beginnt Silas erneut: »Du weißt schon, dir von den Kursen zu erzählen … Ich will nicht, dass Scarlett denkt, sie verliert dich. Ich wollte dir nur die Möglichkeit geben, ein bisschen zu leben. Vielleicht sollte ich mich besser um meine eigenen Angelegenheiten kümmern …«
»Oh«, antworte ich schnell. »Nein, Silas. Das sind meine Entscheidungen.«
»Stimmt. Es ist nur …« Er verzieht das Gesicht und streicht mit den Fingern über die kondensierten Tropfen auf seinem Glas. »Ich will nicht dafür verantwortlich sein, euch auseinanderzubringen. Ich weiß, wie es ist, auf einer Seite des Zauns zu stehen, während deine Geschwister auf der anderen Seite wütend auf dich sind. Ich kann dir und Scarlett das nicht antun. Ich will … euch nicht verlieren, weder dich noch Scarlett. Um ehrlich zu sein, ihr seid alles, was ich noch habe. Sie hat abgenommen – ist dir das aufgefallen?«
»Lett und ich kommen klar. Wir sind immer zurechtgekommen.« Meine Stimme ist weich, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich die Wahrheit sage. Es ist nicht in Ordnung, wenn ich hoffe, dass meine eigene Schwester nicht mit mir und Silas in einem Raum ist. Es ist nicht in Ordnung, sie zu betrügen, sie zu hintergehen. Wenn ich Silas immer noch als Freund betrachten würde, dann könnte ich ihn jetzt trösten, ihn beruhigen. Aber da ist dieses dröhnende Verlangen in meiner Brust: Was, wenn ich ihn zu sehr umarme, ihn zu zärtlich berühre? Wie kann mit meiner Schwester und mir alles in Ordnung sein, wenn es nur eines gibt, das ich wirklich will – ihren Partner zu
berühren?
Ich verschränke die Arme vor der Brust und lehne mich an den Küchentresen. Mir
ist
aufgefallen, dass sie abgenommen hat, und ich habe auch die dunklen Ringe unter ihren Augen bemerkt. Genauso die Art, wie sie sich nachts hin- und herwirft wie nie zuvor. Die Wölfe verfolgen sie, während ich wach liege und mich nach dem Jungen sehne, der nur ein paar Meter von uns entfernt liegt. Ich bin schrecklich, treulos und verlogen.
Silas nimmt die Traurigkeit in meinen Augen wahr. »Es tut mir leid, Rosie.«
Ich schüttele den Kopf und versuche, seinen Blick auszublenden.
Doch Silas lässt sich nicht so leicht abschrecken. Er zögert, dann lehnt er sich an den Tresen neben mir und bewegt sich extrem langsam, als bräuchte er eine Bestätigung, dass jede Bewegung akzeptabel, erwünscht sei.
»He«, sagt er und berührt mit zwei Fingern meinen Arm. Es fängt wie eine freundliche Geste an.
Ich presse die Lippen aufeinander, als er eine Hand meinen Arm hinauf und um meine Schulter gleiten lässt. Silas hält inne. Ich bin mir nicht sicher, glaube aber, auch er hat bemerkt, dass die Berührung viel mehr als nur freundschaftlich ist. Der Gedanke lässt mich schwindeln, zwingt mich nachgerade dazu, ihm auch eine Hand auf den Rücken zu legen. Ich schließe die Augen, atme ein, spüre seinen Atem auf meiner Stirn, höre seine entspannten Herzschläge. Seine Lippen sind den meinen so nah, leicht könnte ich den Kopf in den Nacken legen und ihn küssen. Wenn ich mutiger wäre. Es fällt mir schwer,
nicht
zu seufzen. Als würde sich der verbrauchte Atem in meiner Brust ansammeln und ich hielte ihn zurück, obwohl ich ihn, mehr als alles andere, herauslassen will, mich offen an Silas pressen …
Scarlett dreht den Duschhahn zu. Sofort reißt Silas seinen Arm weg, und ich lehne mich zurück. In meinem Kopf dreht sich alles wegen der abrupten Veränderung.
»Ähm … richtig«, sagt
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