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Blutrote Schwestern

Blutrote Schwestern

Titel: Blutrote Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jackson Pearce
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quietschen, ansonsten ist die Straße leer. Ich wanke vorwärts wie ein Zombie, zu tot, um irgendetwas zu spüren. Zumindest fast. Selbsthass erfüllt mich. Der Wolf ist frei. Als ich die Chance hatte, ihn zu stoppen, habe ich es nicht getan.
    Ich frage mich, ob Rosie heute Nacht Glück gehabt hat. Der Gedanke an ihren möglichen Erfolg sollte mich glücklich machen, aber er tut es nicht. Tief in mir ist eine dumpfe, widerliche Empfindung: Neid, der meinen Körper erfüllt und vielleicht sogar ausbricht. Die Jagd lockt mich, beruhigt mich, tröstet mich. Ich bin eine Jägerin. Oder war es. Jetzt bin ich eine Versagerin. Ich ziehe mir die Augenklappe herunter und reiße mir den Mantel von den Schultern.
    Der Junkie steht auf den Stufen des Apartmenthauses, aber er knurrt mich nicht an. Stattdessen starrt er einfach auf die Stelle, an der mein Auge sein sollte, und geht mir dann mit einer Würde aus dem Weg, die mich beunruhigt. Das flackernde Straßenlicht erhellt die schwarzen tätowierten Tränen auf seinem Gesicht, und ich kann die Schatten spüren, die die Narben über mein Gesicht werfen, als wären auch sie tätowiert. Langsam, mit schweren Schritten steige ich die Stufen hinauf, schiebe die Tür auf und trotte dahin, bis ich im obersten Stockwerk ankomme.
    »Nein, tatsächlich dachten sie bis zu meiner Geburt, ich wäre ein Mädchen. Um die Wahrheit zu sagen: Ich glaube, sie waren enttäuscht.«
    »Wirklich? Das erklärt eine Menge.«
    Meine Schwester kichert so schmetterlingssüß, dass es mir vor Frustration die Röte in die Wangen treibt. Es ist ihre Stimme und das, was ich kurz darauf sehe: Rosie liegt ausgestreckt auf der Couch, Klette schläft auf ihrem Bauch. Silas hat sich in einem der Stühle zurückgelehnt und die Füße auf den Graffititisch gelegt. Beide tragen Pyjamas, wirken total entspannt, warmherzig. Behaglich. Sogar gelangweilt. Sie sehen nicht aus, als hätten sie gejagt, überwacht oder Schmetterlinge verfolgt, um sie vor Monstern zu schützen. Nicht, als hätten sie mehr als andere versucht, die Welt zu einem ein bisschen besseren Ort zu machen. Sie sehen nicht aus, als hätten sie mit einem abgeschlachteten Mädchen zurechtkommen müssen.
    »Scarlett.« Aus dem Mund meiner Schwester klingen Überraschung und Besorgnis.
    Ich werfe meinen Mantel und die Augenklappe auf den Boden und drehe mich um, vor Wut kochend, nehme mir Zeit, die Tür hinter mir zu schließen.
Atme, Scarlett. Schrei bloß nicht rum.
    »Lett? Alles in Ordnung mit dir?«, fragt Silas. Sein Stuhl kippt auf den Boden, und ich höre seine Schritte hinter mir.
    »Ein Mädchen ist gestorben. Ich war nicht rechtzeitig da, um es zu verhindern. Ein Fenris hat sie aufgefressen.« Ich drehe mich wieder zu den beiden um und knirsche dabei mit den Zähnen. Die Bilder des Schmetterlings, des Pfeils und Oma Marchs blitzen in meinem Kopf auf.
    »Scarlett«, sagt Rosie wieder, und die Kinnlade fällt ihr vor Schreck runter.
    »Ich bin mir sicher, dass du alles getan hast, was in deiner Macht stand«, sagt Silas fest.
    Ich runzele die Stirn. »Natürlich habe ich getan, was ich konnte«, blaffe ich. »Weil
ich
nämlich draußen war, zum Jagen. Nicht hier drinnen, um rumzuquatschen.«
    »Warte mal, Lett, du warst einverstanden, dich hier um zwei Uhr wieder zu treffen.«
    »Und?«, zische ich ihn an.
    »Es ist vier Uhr morgens, Scarlett.« Rosie setzt Klette auf den Boden und kommt barfuß auf mich zugestapft.
    Ich werfe einen Blick auf die Uhr am Radio. Sie haben recht: drei Minuten nach vier. Ich schüttele den Kopf, stürze auf das Badezimmer zu, drehe den Hahn auf und spritze mir Wasser ins Gesicht. Als ich zurückkomme, beobachten mich Rosie und Silas, die dicht beieinander stehen. Rosie sieht immer noch anders aus, und das macht mir Angst.
    »Scarlett, jetzt komm schon«, sagt Rosie. »Ich habe Erdnussbutterkekse gebacken, während wir auf dich gewartet haben. Setz dich einen Moment.«
    »Hinsetzen?«, spucke ich geradezu aus. Gefühle wallen in mir auf, steigen mir von den Zehen bis in den Kopf, bis ich meine, alles doppelt und dreifach zu sehen. »Ich komme hierher zurück und denke, ich schlafe zwei Stunden lang und gehe dann wieder nach draußen, um etwas zu bewegen. Und mein Partner und meine
Schwester
sitzen hier einfach … bloß herum. Wie könnt ihr nur? Wie könnt ihr euch entspannen, wo ihr doch wisst, dass es da draußen Monster gibt? Monster, die ihr
aufhalten
könnt?« Meine Stimme ist schrill, höher als je zuvor, und

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