Blutrote Sehnsucht
glauben, Ann sei dort gestorben? Wenn alles gutging, würde sie wieder auf den Beinen sein und zurückkehren, bevor sie für ein Gespenst oder irgendeine andere überirdische Erscheinung gehalten würde. Sie würde lebendiger sein denn je, doch das würden diese Trottel im Dorf nicht bemerken.
Wie lange mochte es dauern, bis das Schlimmste überwunden war? Vielleicht Tage. Dann würde er sie verlassen und sich mit dem Problem der Schwestern auseinandersetzen. Töten konnte er sie nicht, weil sie zu alt und mächtig für ihn waren, aber er würde sie von hier weglocken, weg von Ann, bevor er die Konfrontation mit ihnen suchte. Sie herauszufordern würde seinen Tod bedeuten. Wenn er nicht zurückkehrte, war Ann allein, doch zumindest würde ihr keine Gefahr mehr drohen ...
In dieser Haltung, in der sie lagen, mit Anns verführerischem Po an seinen Lenden, erfasste Stephan wieder ein heftiges sinnliches Verlangen, das er jedoch eisern unterdrückte. Mann, sie ist krank, weil sie sich an dir infiziert hat, und du kannst nicht mal deine Lust beherrschen?, schalt er sich. In Gedanken sprach er seine Mantras und erlangte wieder die Kontrolle über sich. Am Morgen, kurz vor Tagesanbruch, musste er Ann erneut mit Blut versorgen. Stephan hoffte nur, dass sie beide vorher noch ein paar Stunden Schlaf bekamen.
Ann lag auf dem Bett, das Stephan ihr aus einer weichen Unterlage aus Laub und mehreren Decken auf dem Höhlenboden bereitet hatte. Sie war kaum noch bei Bewusstsein und fröstelte schon wieder, obwohl er ihr erst vor einer Stunde Blut gegeben hatte. Die Krankheit nahm einen ungewöhnlich heftigen Verlauf. Nach allem, was er wusste, verlief sie normalerweise viel langsamer. Sein Magen war verkrampft vor Furcht.
Ratlos blickte er sich um und dachte, dass Ann es nicht verdiente, an einem solch feuchten, kalten Ort leiden zu müssen. Glitzerndes Wasser tropfte von den Stalaktiten und floss in Rinnsalen in den gurgelnden Kanal hinunter, der sich in der Mitte des hohen Raumes gebildet hatte. Auf jeder halbwegs flachen Oberfläche flackerten Kerzen, deren Licht zwar die Dunkelheit in dem Gewölbe zurückhielt, Ann jedoch keine Wärme spenden konnte. Er musste ein Feuer entfachen. Hoffentlich war die Höhle groß genug, damit der Rauch Ann nicht erstickte! Ein gutes Zeichen war, dass von irgendwoher ein Luftzug kam.
Es war nur seine Schuld, dass sie sich in dieser schlimmen Lage befand. Stephan schüttelte den Kopf, als er sich neben den Stapel Feuerholz kniete, das er im Wald gesammelt hatte. Aber seine Gedanken ließen sich nicht von der zentralen Frage ablenken, die seine Angst mit jeder Stunde mehr verschärfte. Warum war Ann so schwer erkrankt? Er war zweitausend Jahre alt, jedoch längst nicht alt genug, um eine derart schwere Erkrankung mit seinem Blut zu verursachen.
Aus dürren Ästen bereitete er das Feuer vor und hielt den Flintstein an die trockene Baumrinde, die er darunter aufgehäuft hatte. Wenn sein Blut machtvoll genug war, um diese Art Erkrankung zu erzeugen, würde es dann auch wirkungsvoll genug sein, um Ann wiederherzustellen? Er blies in die aufsprühenden Funken und beobachtete, wie sie auf das trockene Holz übergriffen. Der aufsteigende Rauch wurde von dem Luftzug in der Höhle davongetragen. Dem Himmel sei Dank!, dachte Stephan und ging zu Ann zurück. Sie schien nicht bei Bewusstsein zu sein, warf aber den Kopf herum, als wehrte sie sich gegen das Eindringen des Gefährten. Leider musste Stephan eine Weile warten, um ihr wieder Blut zu geben, weil er nicht riskieren durfte, sich zu sehr zu schwächen. Er war der Einzige, der sie vor dem Tod bewahren konnte. In seiner Hilflosigkeit nahm er ein Tuch und tupfte ihr sanft die Stirn ab. Es war unerträglich, sie so leiden zu sehen.
Seine Schuld ...
Er war ein Fluch. In seinem ganzen langen Leben hatte er immer wieder Unglück und nicht wiedergutzumachenden Schaden angerichtet. Beatrix, Asharti, Stancie, vergangene Nacht Kilkenny und, das Schlimmste überhaupt, nun auch noch Ann.
Alles nur seine Schuld ...
Ann öffnete die Augen, weil sie Stephans Stimme hörte, die sie rief und ihr befahl zu trinken. Sie konnte sich nicht einmal mehr hin- und herwerfen in ihrer Qual. Der Schmerz war zu einem Teil von ihr geworden. Stephan hielt sie wie ein Kind an seiner nackten Brust. Er trug kein Hemd und hatte sich erneut am Hals verletzt, um ihr Blut zu geben. Am liebsten hätte sie sich geweigert, es zu nehmen. Er verausgabte sich immer mehr für sie. Es wäre
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