Blutrote Sehnsucht
das Sterben wie ein Segen vorgekommen. Es war nicht so, dass er die Hölle fürchtete, doch jetzt hatte er einen Eindruck davon bekommen, was Erlösung war. Wieder blickte er zu Ann hinüber und schüttelte im Stillen den Kopf. Er brauchte Mirso nicht. Ann zu lieben und zu beschützen, war die einzige Aufgabe, die ihm wichtig war im Leben. Und wenn ihm das genommen wurde, war es Buße, in der Tat. Schlimmer wäre höchstens noch zu wissen, dass er sie schutzlos und allein den Schwestern überließ. Oh ja, das würde noch um ein Vielfaches schlimmer sein als Satans armselige Feuer.
Stephan stand auf und zog seinen Rock über.
»Ich muss jetzt gehen«, sagte er zu Ann, die zu ihm herübereilte, und strich ihr übers Haar. »Aber ich bin bald wieder zurück.«
»Dafür werde ich schon sorgen«, erklärte sie, während sie mit einer Hand nach seiner Schulter griff. »Ich werde nämlich mit dir gehen.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig«, erwiderte er mit vorgetäuschtem Gleichmut. »Aber wenn du etwas Bestimmtes aus Maitlands willst, dann gib mir eine Liste mit.«
»Versuch erst gar nicht, mich hinters Licht zu führen, Stephan Sincai«, entgegnete sie streng, als durchschaute sie ihn mit diesen fast schon durchsichtigen grauen Augen. »Ich weiß, dass du dich Rubius’ Töchtern stellen wirst, und ich werde dich begleiten.«
Konnte er sie nicht einmal belügen? Sie schien immer zu wissen, was er dachte, auch wenn sie behauptete, sie könne nicht Gedanken lesen. Ihm blieb wohl gar nichts anderes übrig, als an ihre Vernunft zu appellieren. »Du kannst nicht mitkommen. Sie sind sehr alt und stark und werden dich töten wollen, Ann.«
»Nun, vermutlich werden sie auch über deinen Anblick nicht erfreut sein, Stephan. Das Beste, was wir tun können, ist, zusammenzuarbeiten. Du hast gesehen, was wir in Bucklands Lodge zustande gebracht haben.«
»Das war Zufall, Ann. Unsere Gemüter waren sehr erhitzt. Irgendetwas ... zündete einen Funken und verband unsere Kräfte miteinander, das war alles.«
»Nun, dann sollten wir das gleich noch einmal versuchen«, sagte sie und presste die Lippen zusammen, bis sie nur noch ein schmaler Strich waren.
»Ich will dich nicht gefährden, Ann.« Aus vielen Gründen nicht. Wortlos rief er seinen Gefährten zu sich, und der vertraute schwarze Nebel stieg vom Boden auf. Stephan beschloss, so schnell wie möglich zu verschwinden, und dachte intensiv an den Wald hinter der Taverne. Sofort wurde die Höhle in einen roten Dunst getaucht, der sich im Handumdrehen schwarz verfärbte.
Im letzten Moment spürte Stephan, dass etwas in seinen schwarzen Strudel eindrang, seinen Arm ergriff und sich neben ihn schob. Ein weiterer Gefährte pochte und pulsierte neben seinem. Dann fiel der schwarze Nebel in sich zusammen, und Stephan erschien hinter dem Hammer und Amboss .
Neben ihm stand Ann und schüttelte die Schwärze ab. Was? »Du musst sofort zurück!«, sagte er so streng wie möglich.
»Nein, Stephan«, widersprach sie und rang nach Atem. »Ich komme mit. Du brauchst mich gegen die Schwestern. Vielleicht bin ich in der Lage, deine Macht zu verstärken? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass du gegen so alte und mächtige Vampire keine andere Chance hast, als dich deiner und meiner Macht zu öffnen und sie anzunehmen.«
»Du hast mir in Bucklands Lodge geholfen, Ann, das gebe ich zu«, sagte er betont ruhig. »Aber diesmal komme ich allein zurecht.«
Sie blickte auf und schüttelte ihn an den Schultern. »Das ist auch mein Kampf, Stephan. Ich werde nicht dort in der Höhle herumsitzen und abwarten, was geschieht. Das kannst du nicht von mir erwarten. Dazu habe ich zu viel zu verlieren.«
» Ich habe zu viel zu verlieren, falls dir etwas zustößt«, stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Selbst wenn ich überlebte, glaubst du, ich könnte es ertragen, wenn ich dich verlöre?« Er war versucht, sie anzuknurren wie ein Wolf, die Zähne zu fletschen oder sie anzuschreien, um sie zur Vernunft zu bringen, aber an der Art, wie sie trotzig die Arme vor der Brust verschränkte, erkannte er, dass sie nicht nachgeben würde. Himmel, wenn Rubius’ Töchter im Gasthof waren, würden sie vielleicht schon seine Vibrationen spüren – und die ihren!
»Dann wirst du wohl damit leben müssen, dass es so kommen könnte, Stephan«, fauchte sie ihn an. »Glaub bloß nicht, du könntest mich ausschließen. Ich bin ein Teil von all dem hier.«
Das stimmte allerdings. Sie
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