Blutrote Sehnsucht
zufriedenes Lächeln erschien um ihre Lippen. Sie wusste, dass auch sie Stephan exquisite Freuden bereitet hatte, weil ihr nur zu gut bekannt war, was ihm gefiel und was nicht.
Während sie warm und glücklich neben ihm lag, schweiften ihre Gedanken zu ihrer Mutter ab. Jemanden zu berühren, den man liebte und von dem man geliebt wurde, war etwas Wunderbares. Es war ein Geschenk Gottes, einen Mann körperlich, geistig und emotional zu kennen.
Ihre Mutter hatte sich jedoch wegen ihrer besonderen Gabe von allen, einschließlich ihres eigenen Ehemannes, isolieren lassen. Sie musste geglaubt haben, ihn zu lieben, um der Heirat zuzustimmen, und sie musste sich auch nach Nähe gesehnt haben. Aber ihre Angst, alles über ihren Mann – Anns Vater – zu erfahren, hatte dann die Oberhand gewonnen. Und ihr Vater? Er hatte vor der Heirat um das Geheimnis ihrer Mutter gewusst. Das hatte Onkel Thaddeus Ann erzählt. Auch ihr Vater musste ihre Mutter geliebt haben, um diese Belastung hinzunehmen. Doch ihre Mutter hatte offenbar gezögert, sich den Möglichkeiten der Liebe anheimzugeben. Wenn sie den Mut aufgebracht hätte, ihre Ängste abzulegen, hätte die Tragödie ihres Wahnsinns und Selbstmords dann vielleicht abgewendet werden können? Trauer überkam Ann und setzte sich in ihrer Kehle fest, doch dann begann sie ... Erleichterung zu verspüren. Sie war nicht dazu verdammt, das Schicksal ihrer Mutter zu wiederholen. Sie hatte den Mut, Stephan zu lieben, ihn zu berühren, sich von ihm lieben und berühren zu lassen und die Zuflucht, die sie in der Isolation gefunden hatte, aufzugeben.
Ann öffnete die Augen. Stephan sah sie so zärtlich an, dass sie den Kopf hob und ihn auf die Lippen küsste. Sie waren ein bisschen geschwollen. Und das war ich, dachte sie und lächelte ihn an. Aber seine Augen blieben ernst.
»Ich weiß«, flüsterte sie, ihre Stimme noch ganz rau von ihrem Liebesspiel. »Es wird Zeit zu gehen.«
Er nickte und schloss sie so fest in die Arme, dass sie kaum noch Luft bekam. Dann lockerte er den Griff und hielt sie nur noch an den Schultern fest, um einen Kuss auf ihre Stirn zu hauchen.
»Ja«, sagte er leise und erhob sich.
Auch Ann stand auf. »Ich hoffe, du hast etwas anderes zum Anziehen dabei, da alles, was wir anhatten, zerrissen ist«, sagte sie und blickte sich um. »Oh, wie vorausschauend von dir!«, lobte sie ihn, als sie, in einem Felsspalt verborgen, einen Stapel Kleider entdeckte. Sie entschied sich für ein grünes, das hübscheste aus ihrer kleinen Auswahl. Seltsamerweise konnte sie die Person, die es genäht hatte, nicht spüren; Ann wusste nur, dass es ihr gehörte, das war alles. Einem Impuls folgend, berührte sie eins von Stephans Hemden und erhielt einen sehr schwachen Eindruck der Person, die es gebügelt hatte. Sie nahm es heraus und befühlte es mit beiden Händen. Alice . Aber sie musste sich jetzt ganz bewusst den Eindrücken öffnen, um sie zu erhalten. Polsham hatte das Hemd zuletzt getragen. Dann konnte sie sehr, sehr schwach auch Hände an einem Webstuhl spüren.
Verwundert sah sie Stephan an. »Ich kann die Leute, die es angefasst haben, kaum noch wahrnehmen.« Es fiel ihr sogar schwer, es auszusprechen. »Ich meine, ich kann es schon noch, wenn ich es versuche, aber ... es überwältigt mich nicht mehr.«
Er sah ihr prüfend ins Gesicht. »Verlierst du deine Gabe?«
Ann bückte sich, um das Papier und die Kordel eines Päckchens zu berühren, das den mitgebrachten Proviant enthielt. Sie spürte Stephan, der es gepackt hatte ... Mrs. Simpson, die die Lebensmittel berührt hatte, und vielleicht auch noch den Metzger, der das Papier einmal als Einwickelpapier benutzt hatte. »Es ist noch da«, sagte sie mit unsicherer Stimme. »Doch ich muss genau hinhören, um die anderen wahrzunehmen, die es berührt haben. Sie ... schreien mich nicht mehr an.«
»Vielleicht übertönt das Singen des Gefährten in deinem Blut sie ja ein wenig.«
Ann verharrte einen Moment ganz still. Tatsächlich – da war ein Summen, das sie nicht bemerkt hatte, seit sie erwacht war, weil es die ganze Zeit schon da gewesen war. »Das stimmt. Er singt tatsächlich«, sagte sie erstaunt.
»Das ist es, was andere als vibrierende Energie empfinden, wenn wir einen Raum betreten«, erwiderte er ernst. »Bereust du es, dass die Dinge sich geändert haben?«
Sie lächelte, immer breiter, bis sie nicht mehr anders konnte als zu lachen. »Ich muss mir unbedingt ein paar neue Kleider anfertigen lassen«,
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