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Blutrote Sehnsucht

Blutrote Sehnsucht

Titel: Blutrote Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Squires
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schimmerndes Gesicht schien manchmal seine einzige Verbindung zur Realität zu sein in der verschwommenen Spirale aus Nacht und Erinnerung. Wieso hatte er das Gefühl, Miss Ann zu kennen, sie immer schon gekannt zu haben? Vielleicht war es gerade dieses Gefühl, das ihn Nacht für Nacht hierhertrieb, um bei ihr zu sitzen. Stephan dachte zurück an das erste Mal, als er sie im Wald gesehen hatte. Der Mut, den ihr Lächeln ihm verraten hatte, der leise Eindruck ihres »Andersseins«, all das hatte ihn sogar da schon fasziniert. Aber erst als er in der Höhle wieder zu sich gekommen war, hatte er eine ... Verwandtschaft zu verspüren begonnen.
    Mit einer Sicherheit, die er nicht erklären konnte, wusste er, dass sie nicht verrückt war. Doch er wollte wissen, was genau zwischen ihr und Jemmy auf dem Hof passiert war und was sie erlebt hatte. Und vor allem wollte er wissen, warum sie jetzt in ihrem Körper eingeschlossen war. Was war geschehen? Und welche Schuld trug er selbst an all dem?
    Der Arzt hatte ihm weder die Ursache des Komas noch die Folgen erklären können, nicht einmal unter psychischem Zwang. Er meinte, ein Koma könne durch einen Schlag auf den Kopf hervorgerufen werden oder wenn jemand kurz vor dem Ersticken gewesen sei oder aber auch durch einen schweren Schock. Stephan wäre jede Wette eingegangen, dass in diesem Fall ebenfalls ein Schock der Auslöser gewesen war. Doch ob Miss van Helsing sich erholen würde und sich an alles, was geschehen war, oder nur an Bruchstücke erinnern würde, war nicht bekannt. Der Doktor sagte, das sei bei allen Patienten unterschiedlich.
    Stephan warf Jane Austens Roman, in dem er gelesen hatte, auf den Boden. Nicht, dass die Lektüre nicht unterhaltsam wäre. Der Roman war sogar recht anspruchsvoll und geistreich. Aber das »Buch«, in dem Stephan lesen wollte, lag – unentzifferbar für ihn – vor ihm im Koma. Frustriert steckte er die Hände in die Hosentaschen und lehnte sich zurück.
    Miss van Helsings erbarmungswürdige Lage ärgerte ihn, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Was erwartete sie, wenn sie aus dem Koma erwachte? Sie hatte keine Eltern mehr, sonst wäre ihr Onkel nicht ihr Treuhänder. Und nun lag ihr Beschützer da unten, mit einem schwachen Herzen und dem Tode näher als dem Leben. Was würde geschehen, wenn ihr auch noch dieser eine Mensch, dem etwas an ihr lag, genommen wurde? Wer würde sie dann vor den Fallen und Gefahren unerhörten Reichtums und abergläubischen Hasses schützen?
    Möglicherweise würde sie Schutz vor einer ganz anderen Bedrohung benötigen. Morgen würde Van Helsing zurückkehren. Stephan konnte den abscheulichen Mann eine Zeit lang aus ihrem Zimmer fern halten, doch wie würde es weitergehen, falls sie sich erholte? Wäre sie mit einem solchen Wüstling im Haus überhaupt noch sicher? Ohne die Autorität Lord Brockweirs in ihrem Rücken stand es den Dienstboten nicht zu, den Mann in seine Schranken zu verweisen. Und dann kam auch noch hinzu, dass Miss Ann, so lächerlich das auch war, des Mordes verdächtigt wurde. Stephan kaute nachdenklich an seiner Unterlippe. Auch für ihn selbst würde sich die Lage zuspitzen, denn mit Van Helsing kamen die Bow Street Runners ...
    Nur sein scharfes Gehör vermochte das leise Stöhnen wahrzunehmen.
    Stephan riss schockiert die Augen auf. Anns Lider flatterten. Er flog buchstäblich aus seinem Sessel zu ihrem Bett hinüber, ließ sich auf die Knie fallen und rieb ihre Hände. Ann stöhnte ein bisschen lauter. Sie erwachte! Dem Himmel und den Göttern sei Dank! , betete er stumm. Die Verdammnis würde ihm nicht erspart bleiben, aber zumindest sein Vergehen gegen Ann, was immer es auch sein mochte, war vielleicht nicht unabänderlich. Sie stand kurz davor, zu sich zu kommen.
    Er zog die Hände von ihren zurück. Sie würde es nicht mögen, beim Erwachen angefasst zu werden. Und ein Fremder an ihrer Seite würde ebenfalls nicht gerade beruhigend auf sie wirken. Schon gar nicht, wenn es jener Fremde war, den sie beim letzten Mal blutüberströmt und von waberndem schwarzem Nebel eingehüllt gesehen hatte. Aber es war niemand anderer verfügbar. Und allein konnte er sie nicht erwachen lassen.
    Und so lehnte er sich zurück und setzte ein – wie er hoffte – beruhigendes Lächeln auf.
    Ann kämpfte sich durch einen nicht enden wollenden Nebel. Schon seit einiger Zeit war sie sich einer geheimnisvollen Präsenz in ihrer Nähe bewusst. Aber sie fühlte sich gut an und verlieh ihr Sicherheit.

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