Blutrote Sehnsucht
bin nicht wie Sie. Daran erinnern Sie sich. Doch Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben. Ich werde Ihnen nichts zuleide tun, weder Ihnen noch irgendjemandem sonst in diesem Haus. Ich werde jetzt Mrs. Simpson holen ...« Er wandte sich ab.
»Warten Sie«, krächzte sie. Ihr Verstand arbeitete allmählich wieder, aber noch immer bestürmten sie all die Eindrücke und Bilder. Er war kein Monster. Sie hatte alles, was er war, gespürt. Sincai hatte einen guten Kern aus Mitgefühl und Güte, egal, wie sehr er sich auch bemühen mochte, empfindungslos zu sein. Jemand namens Rubius, der behäbig und gutmütig aussah, aber sehr gefährlich war, wollte , dass Stephan gefühllos war. Doch das war er nicht, und deswegen kam er sich wie ein Versager vor. Sincai drehte sich zu ihr um und warf ihr einen überraschten Blick zu. Er würde ihr nichts antun. Sie wusste alles über ihn; all das Schlimme, das er verbrochen hatte, all seine großzügigen Handlungen und seine selbstlose Liebe. Sie wollte nicht, dass er ging. »Ich will Mrs. Simpson nicht sehen.«
Er schaute sich um, als könnte er irgendwo im Zimmer finden, was sie benötigte. »Sie ... Sie brauchen Nahrung ... etwas heiße Brühe vielleicht? Oder vielleicht sollten Sie schlafen.«
»Gleich«, flüsterte sie. Unsicher näherte er sich wieder dem Lichtkreis um ihr Bett. Wie konnte ein solch mächtiges Wesen unsicher sein? »Sprechen Sie mit mir!«
Er zögerte. Dann drehte er sich um und zog den Ohrensessel näher an das Bett heran. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, beugte er sich vor, und sie konnte die Sorgenfalten um seine Augen sehen.
»Wie bin ich hierhergekommen?«
Er räusperte sich. »Ich habe Sie hergebracht.«
Sie schloss anerkennend die Augen. »Danke.« Dann furchte sie die Brauen. »Jetzt wissen alle von der Höhle.« Damit war ihr Unterschlupf für sie verloren.
»Nein. Ich habe Sie direkt in dieses Zimmer gebracht. Niemand weiß, dass Sie da draußen waren.«
»Wie?« Ah ... aber sie wusste, wie. Er musste sie geradewegs in den dritten Stock versetzt haben. Was für eine wundervolle Fähigkeit, sich hinbegeben zu können, wohin man wollte, umgehend und ungesehen! Das Flackern seiner Augen verriet ihr, dass er sie jetzt belügen würde.
»Über die Hintertreppe«, antwortete er auch prompt. »Die anderen schliefen schon alle.«
Er wollte sie vor der Wahrheit über ihn beschützen. Sollte sie ihm sagen, dass sie alles über ihn wusste? Doch würde er das gutheißen? Niemand sah sich gern durchschaut. Deshalb hassten die Dorfbewohner sie ja so.
Ann fragte sich, ob auch er etwas über sie wissen mochte. Denn so funktionierte das normalerweise. Sie sah alles von den anderen, aber auch die anderen bekamen etwas von ihr mit, zumindest ein bisschen. Deshalb verstanden ihr Onkel und Malmsy sie. Und jetzt verstand auch Jemmy sie, was ihr nur leider gar nichts nutzte, denn zweifellos war er nun sicher, dass sie eine Hexe war. Und vielleicht war sie das ja auch. Verstand Stephan Sincai sie?
»Ich danke Ihnen vielmals, Mr. Sincai. Ich hätte meinen Onkel oder die Dienstboten nicht beunruhigen wollen«, sagte sie.
Stephan Sincai sah sie einen Moment lang seltsam an und schien dann seine Worte sorgsam abzuwägen. »Ihnen ist vielleicht nicht bewusst, dass Sie mehr als drei Tage bewusstlos waren.«
Drei Tage! »Ach, du meine Güte!« Sie versuchte, sich auf einen Ellbogen aufzustützen. »Ich muss nach meinem Onkel sehen.«
Stephan sprang aus dem Sessel auf, konnte sich aber gerade noch davon abhalten, sie zu berühren. »Bitte legen Sie sich wieder hin! Sie sind noch schwach«, protestierte er.
Er hätte sich nicht bemühen müssen. Ihre Schwäche war nur allzu offensichtlich, als sie wieder in die Kissen zurücksank. »Drei Tage«, flüsterte sie. »Mit nur dieser schrecklichen Frau als Pflegerin für ihn ...«
»Polsham und Mrs. Simpson haben sich sehr gewissenhaft um ihn gekümmert. Ich würde mir an Ihrer Stelle keine Sorgen machen.«
»Geht es ihm gut?«, fragte sie in einem Ton, der klar erkennen ließ, dass sie außerstande war, sich nicht zu sorgen.
Sincai straffte sich. »Wenn Sie danach besser schlafen können, gehe ich hinunter und sehe nach ihm.«
Sie presste die trockenen Lippen zusammen und versuchte, ihre Tränen zurückzuhalten, doch sie nickte. Was, wenn ihr Onkel ohne sie an seiner Seite starb? »Ja, bitte«, flüsterte sie.
Ohne ein weiteres Wort erhob Stephan Sincai sich und verschwand in den Schatten. Er schien buchstäblich
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