Blutrotes Wasser
unterbrach ihn der Rabe. Stand auf und ging langsam auf Lázlo zu. Die Ohrfeige überraschte Lázlo mehr, als sie schmerzte. Verstört rieb er sich die Wange.
»Das hier ist wichtig, Lázlo. Eine Reinigung, eine Stärkung deiner Seele. Es ist eine Schande, dass du dich hinter deinem Vater versteckst. Enttäusche mich nicht.«
»Aber …«
Noch eine Ohrfeige. Lázlo schossen die Tränen in die Augen. Was zum Teufel machte er hier? Er musste raus aus dieser Irrenanstalt, er musste … was? Er blinzelte und schaute in die strahlenden Augen hinter der Silbermaske. Blickte in die Runde, in erwartungsvolle Gesichter voller Teilnahme.
»Enttäusche deinen Vater nicht«, sagte Holló leise. Gütig. »Erzähle uns von … Irina.«
Das war wie eine dritte Ohrfeige – Lázlo zuckte zurück. Wie konnte der Rabe von ihr wissen? Warum schauten die anderen so traurig? Er durfte … was? Seinen Vater nicht enttäuschen. Ja. Nein.
»Ich habe Irina geliebt«, begann Lázlo. Seine Stimme klang blechern, wie von weit her. Als hätte er selbst so eine beschissene Eisenmaske auf. »Sie war die Schärfste der ganzen Jahrgangsstufe, mir wurde ganz anders, wenn ich sie nur sah. Aber Typen wie ich …«
Die anderen nickten.
»Ich hatte keine Chance. Gab aber nicht auf, war lange hinter ihr her. Wochen. Monate. Irgendwann … kam sie auf mich zu und packte mich an der Schulter. ›Du bist ganz schön hartnäckig‹, sagte sie. ›Du willst mich?‹, fragte sie. Ich konnte nur nicken. Ihre Augen wie zwei Laser. Verbrannten mich. Wir verabredeten uns bei ihr zu Hause. Ein großes Haus, niemand war da. Niemand, nur ich und … Irina. Ich war so scharf auf sie. Irina zog mich in ihr Zimmer, auf ihr Bett. Ich konnte es kaum glauben. Sie zog ihr Sweatshirt aus, und ihr BH war aus schwarzer Seide. Sie hielt mir ihre Brüste entgegen. ›Mach die Augen zu‹, sagte sie. Ich tat es. Ich hätte alles getan, was sie wollte. Ich … ich hatte noch nie mit einer geschlafen.« Lázlo schluckte. Der Mund so trocken. »Sie sagte zu mir: ›Lass die Augen zu, egal was passiert‹. Ich gehorchte. Spürte, wie sie mir das T-Shirt auszog. Meine Jeans öffnete und die Beine runter zog. An meinen Boxershorts entlangstrich. ›Warte‹, flüsterte sie. Sie ging weg, holte etwas und kam zurück. Bewegte meine Arme. Ich hielt die Augen geschlossen und spürte, wie sie meine Handgelenke festband. Sie fesselte. ›Damit du mir nicht davonläufst‹, flüsterte sie. Ein Kuss auf jedes Handgelenk, brennend wie Feuer.«
Lázlo hustete. Die anderen blickten gebannt und ernst und still. Nur in Froschs Gesicht lag Schmerz.
»Dann«, machte Lázlo weiter, »zog sie mir die Boxershorts aus. ›Warte‹, flüsterte sie noch einmal. Ich hörte sie weggehen. Eine Tür öffnen. Ich dachte, sie holt was. Dann kichern. Erwartungsfroh. Dachte ich. Dann ihr Körper, den ich mit meiner Haut spürte. ›Du darfst die Augen jetzt aufmachen‹, sagte sie.« Lázlo spürte Tränen auf seinen Wangen. Er wischte sie weg. »Ich tat es, machte die Augen auf. ›Überraschung!‹, brüllten vier Typen und drei von Irinas Freundinnen. Sie kreischten vor Schadenfreude. Filmten mich mit ihren Handys. ›Das‹, sagte Irina, ›werden echt geile Filme für YouTube. Hast du kleiner Arsch wirklich gedacht, du würdest mich ins Bett kriegen?‹ Und dann, dann lachte sie. Irina lachte und lachte.«
15.38 Uhr, Gellértberg, Höhlensystem Molnár János
Es passierte am vierten Tag. Drei Tage lang tauchten Emil Meinrad, Sándor Palotás und Lena durch die Höhlen und brachten Sensoren und Messgeräte an den Felswänden an. Oben hockte Professor Radelodz an seinem Computer und zeigte sich zunehmend begeistert von der wachsenden Datenflut. Einmal am Tag kam auch Hauptkommissar Frenyczek vorbei und schnüffelte herum wie ein Hund auf der Suche nach seinem Knochen. Glück hatte er dabei keines: Die Antwort von Emil Meinrad war immer dieselbe: »Das dauert noch, Herr Kommissar.«
Drei Tage war Lena in ihrem, dem nassen, Element. Auch der vierte begann gut. Sie quälte sich in ihren Neoprenanzug, wuchtete sich die Flasche auf den Rücken und tauchte in die Molnár János ein. Mittlerweile hatte sie sich einen Großteil des verzweigten Gangsystems eingeprägt und folgte den Sicherungsleinen unter Wasser wie von selbst. Für die Anbringung der Sensoren waren sie auf Nitrox umgestiegen – Flaschen, die nicht normale Pressluft, sondern eine Mischung aus Stickstoff und Sauerstoff enthielten. So konnte
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