Blutrotes Wasser
müsstest. Es war nicht deine Schuld. Die Angst hat dich auf diesen Weg gezwungen. Es ist gut.« Sanft legte er eine Hand auf Istváns Schulter. Dann drehte er sich zu den anderen: »Der Nächste!«
Scheiße, dachte Lázlo und begann zu schwitzen.
Einer nach dem anderen erzählte von Situationen der Pein und Schande. Frosch berichtete, wie er sich einmal in die Hose gepisst habe, als sein Vater ihn nicht wie üblich nur prügelte, sondern würgte. André beichtete, dass er gerne mit Puppen gespielt habe und sein Vater, der Militär, ihn dabei überrascht und ihn als Weichei und Schwuchtel beschimpft hatte. Janosch sprach davon, wie man ihn beim Stehlen erwischt hatte und wie demütigend diese Erfahrung gewesen war. Jedes Mal tröstete Holló sie mit Worten und Gesten. Jedes Mal ging ein befreites Raunen durch die Gruppe. Das alles war nicht mehr als ein abgefucktes Psycho-Spielchen, wurde dem müde blinzelnden Lázlo klar, aber trotzdem ging es einem unter die Haut. Schließlich blieb nur noch er übrig. Als der Rabe sein »Der Nächste!« in die Runde warf, richteten sich alle Blicke auf Lázlo. Der rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Also«, begann er und stockte schon. »Ich mag diese Psychokacke ja eigentlich nicht.« Er kicherte, aber keinem schien der Witz zu gefallen – sie blickten ihn an. Ernst und abwartend.
»Na ja.« Lázlo schüttelte sich. »Also, ich … ich habe versucht mich umzubringen.« Das wussten ohnehin schon alle hier – sowohl Janosch als auch Frosch hatten oft mit ihm darüber geredet. »Das ging schief. Ich hab mich in die Badewanne gelegt, Wodka und Rasierklingen, und dann …«
»Nein«, unterbrach ihn Holló.
Fragend schaute Lázlo ihn an.
»Dieses Training«, erklärte der Rabe leise, »geht tiefer, Lázlo. Es geht nicht um Qual, sondern um Schande und Schuld. Um Pein. Wir wollen etwas anderes von dir hören.«
Lázlo schwitzte noch stärker. Was sollte das? »Ich … ich weiß nicht.«
Schweigen. In den Augen der anderen sieben stand so etwas wie Verachtung. Oder Mitleid? Lázlo bäumte sich auf. Wenn er nur nicht so müde gewesen wäre. »Ich … so etwas ist mir nie passiert«, brachte er schließlich hervor.
Kein Kommentar.
Endlich nickte die Silbermaske. »Zieh deine Schuhe aus, Lázlo.«
»Was?«
»Bitte, mein Sohn.«
Er beugte sich vor und nestelte an seinen Turnschuhen herum. Schlüpfte aus ihnen heraus und wackelte mit den Zehen. Holló hielt plötzlich einen langen, runden Stock in der Hand wie ein Zauberer seinen Stab. Das Ding sah aus wie ein Besenstiel – vielleicht war es auch einer. Der Rabe legte ihn auf den Boden. »Stell dich darauf bitte.«
Verwirrt stand Lázlo auf, tapste in den Kreis und stellte sich auf das Rundholz.
»Jetzt wackle ein bisschen hin und her«, wies Holló ihn an. »Rolle mit den Füßen über den Stiel und versuche darauf zu balancieren.«
Lázlo versuchte es, aber sobald er mit den Füßen den Stab belastete, zuckte er zurück.
»Das tut weh, nicht wahr?«, flüsterte die silberne Maske. »Mach weiter bitte.«
Er machte weiter. Der Schmerz strahlte durch seine Füße. Während unter seinen Füßen der Holzstiel hin und her rollte, erreichte die Pein seinen Kopf. Er spürte, wie er endlich wach wurde. Wie konnte so etwas Lächerliches wie ein Besenstiel derart wehtun?
»Kanalisiere den Schmerz, Lázlo. Forme ihn um in Atem und Kraft. Atme, Lázlo. Spüre den Schmerz, halte ihn aus. Halte ihn noch ein bisschen länger aus. Noch ein bisschen.«
Lázlo keuchte.
»Jetzt tauche in den Schmerz ein, Soldat, wie in das Meer. Tauche hinab und birg, was du in der Tiefe findest.« Hollós Stimme hinter der Maske klang beschwörend.
Lange brauchte Lázlo nicht zu suchen – fast sofort sah er Irinas Gesicht vor sich, lachend. Tränen lachend.
»Es genügt, mein tapferer Freund.« Holló nickte ihm zu. »Ich sehe in deinen Augen, dass du gefunden hast, was wir suchen. Setz dich wieder.«
Lázlo nickte. Humpelte und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Seine Füße brannten höllisch, der Schmerz schoss immer noch wie eine Billardkugel durch seinen Körper. Irina, diese verfluchte Schlampe! Aber … das ging niemanden etwas an. Den erwartungsvollen, mitfühlenden Blicken der anderen konnte er jedoch nicht entgehen.
»Mein Vater«, begann er leise, »ist gestorben bei der Demonstration 2006. Ich war bei ihm. Er hat mich beschützt und bekam die Schläge ab, die für mich bestimmt waren. Ich …«
»Nein!« Wieder
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