Blutrotes Wasser
man die Nullzeit ausdehnen und länger tauchen. Zusätzlich zu der 12-Liter-Flasche auf ihrem Rücken baumelte eine zur Reserve an ihrem Bleigürtel. Und an einigen Verzweigungen unter Wasser hatten sie auch Depots angelegt.
Lena tauchte und ergab sich der Faszination dieser Höhlenwelt. Sie schwamm an weiß gebänderten Felswänden entlang oder schwebte eine enge Schlucht hinab. Bei diesem Tauchgang arbeitete sie mit Sándor zusammen. Der zweifelte zwar immer noch am Sinn des Projekts, war aber ein ausgezeichneter Guide und verlässlicher Buddy, wie man seinen Tauchpartner nennt. Die goldene Regel ihres Sports – Tauche nie allein – galt in extremen Situationen besonders: für das Tauchen unter Eis, in Wracks und natürlich in Höhlen.
Eine halbe Stunde arbeiteten sie in diesem fremden Reich aus Stille und Dunkelheit. Nur begleitet von den sprudelnden Luftblasen, vom Geräusch ihres Atems und Herzschlags brachten sie die Strömungsmessgeräte an den markierten Stellen an. Lena blickte in das Wasser, in diese flüssige, magische Luft, und sie erschrak, als plötzlich ein kleiner Fisch auf sie zuschoss. Wo kam der her? Neugierig geworden entfernte sie sich ein paar Flossenschläge weit von der Sicherungsleine und zeichnete mit ihrer Halogenlampe Kreise auf den Fels. Da, noch ein Fisch, der sich aus dem Nichts heraus zu materialisieren schien und neugierig an ihre Taucherbrille klopfte! Ein kleiner frecher Barsch. Lena glotzte ihn an: Wo kommst du denn her?
Sie ließ sich noch näher an die Wand treiben, die dicht mit Algen bewachsen war. Mit der Hand wischte sie darüber, bis sie ins Leere griff: Der Algenvorhang offenbarte einen engen Tunnel. Sie stocherte mit der Lampe in ihm herum, gewahrte das Aufblitzen von Barytkristallen, die wie ein versteckter Schatz im ersten Licht nach hundert Jahren aufleuchteten. Lena konsultierte ihre in Plastik eingeschweißte Karte des Höhlensystems. Tatsächlich – sie hatte einen noch nicht kartografierten Tunnel entdeckt. Da würde sich Sándor aber freuen. Oder ärgern. 3000 Tauchgänge und doch immer hier vorbeigeschrammt? Lena grinste, passte diesmal aber auf, dass kein Wasser in die zweite Stufe * ihres Lungenautomaten kroch. Rasch blickte sie sich um. Sándor hatte innegehalten und schien auf sie zu warten. Sie machte ein paar Schwimmzüge auf ihn zu und formte das Okay-Zeichen. Sándor nickte blubbernd, drehte um und schwamm weiter. Der Lichtschein seiner Handlampe entfernte sich. Lena zögerte nicht lange: Das würde sie sich anschauen. Für die Ersatzflasche an ihrem Bauch war der Gang zu eng – die würde sie hier deponieren. Rasch band Lena sie los und befestigte sie an einem Felsen. Dann schwebte sie zurück zur Algenwand und schob sich vorsichtig in den engen Gang. Hoffentlich nicht zu eng. Und hoffentlich keine Sackgasse. Aber das glaubte sie nicht – Flussbarsche lebten normalerweise nicht in 27 Grad warmem Thermalwasser, sondern, wie ihr Name schon sagte, in Flüssen. Mit vorsichtigen Flossenschlägen schwamm sie tiefer in den engen Gang hinein. Sie wusste, dass das keine gute Idee war – sie mochte leichtsinnig sein, aber nicht blöd. Ein letztes Mal zögerte sie, aber das Jagdfieber hatte sie gepackt. Ein paar Meter würden sie schon nicht umbringen. Die Barytkristalle reflektierten das Licht, verwandelten die schmale Röhre in einen märchenhaften Zauberkreis. Ein Königreich für eine Kamera! Staunend tauchte sie weiter. Nach ein paar Metern öffnete sich der Gang in eine Grotte, deren Wände mit noch mehr Kristallen übersät waren. Aber rasch wurde es wieder schmaler. Lena schaute auf ihren Tauchcomputer. Sie war 18 Meter tief, hatte noch Luft für eine halbe Stunde und sich vor sechs Minuten unerlaubt von der Truppe entfernt – hoffentlich machte sich der gute Sándor nicht schon Sorgen. Die domähnliche Höhle verwandelte sich wieder in einen Gang, der Lena näher und näher auf den Pelz, nun ja, auf den Neoprenanzug rückte. Nach einer weiteren Minute musste sie die Nitroxflasche abschnallen, weil sie sonst nicht weitergekommen wäre: Sie schob die im Wasser schwebende Atemluft vor sich her. Ihre Hände berührten vorsichtig den Fels: Klaustrophobie durfte man hier keine haben – schon hörte sie den Stein, der an ihrer Flasche entlangschrappte. Dann tasteten ihre Hände ins Leere – wieder öffnete sich der Tunnel in eine Höhle. Aber ihr Körper steckte noch im Fels und der Durchschlupf schien noch einmal enger zu werden. Ihr Kopf, war kein
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