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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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ein paar Tage … frei.«
    »Gut. Übermorgen ich spiele im Old Man’s Club.«
    Passender Name, dachte Lena, für den alten Herrn.
    »Kommen Sie, wenn Sie gerne wollen.«
    Rutscheks Gesicht leuchtete so begeistert, dass Lena gar nicht anders konnte: Sie nickte.
    Mit strahlenden Augen und einer formvollendeten Verbeugung verabschiedete sich der alte Geiger, winkte noch einmal und verschwand im Gedrängel der Váci utca.
    Komischer Kauz, dachte Lena. Sie blickte die Straße entlang und überlegte sich ihre nächsten Schritte. Wenn die ungarischen Namen nur nicht so kompliziert gewesen wären. »Utca« für Straße, wer sollte sich das denn merken? Und obwohl sie sich die Strecke zum Parlament gut eingeprägt hatte, wusste sie nicht mehr genau, in welche Richtung sie gehen musste. Seufzend nahm sie ihren Rucksack von den Schultern, kramte nach dem Reiseführer und blätterte die Straßenkarte der Budapester Innenstadt auf. Hm, also doch noch ein Stück weiter in diese Richtung bis zu einem großen Platz, dem Vörösmarty tér. Klang eher nach skandinavischem Smörrebröd.
    »Mann.« Lena seufzte, versenkte den Stadtplan wieder im Rucksack und schlappte los. Ihre neuen Flipflops in Pink waren zwar im Sommer ein Segen, eigneten sich für lange Stadtwanderungen aber nicht wirklich. Die nächsten hundert Meter drehte Lena gemächlich an sämtlichen Postkartenständern, um eine schöne Ansichtskarte für ihre Mama zu finden. Am besten gefielen ihr die Brücken-Aufnahmen: Freiheitsbrücke, Kettenbrücke, Elisabethbrücke und Margaretenbrücke. Die sahen schon toll aus. Vielleicht sollte sie sich morgen ein Fahrrad mieten, da käme sie bestimmt schneller voran und ihre Füße würden sich bei ihr bedanken. Wie komisch das alles war, nicht witzig komisch, sondern merkwürdig komisch: Vor zwei Tagen wäre sie fast gestorben und jetzt konnte sie sich nicht für eine dumme Postkarte entscheiden. Verrückt. Und wenn …
    »He!«
    Sie spürte den Ruck kaum. Fast sanft wurde ihr rechter Arm nach hinten gedreht, dann folgte ein leichter Stoß und schon glitt ihr der Rucksack von der Schulter. Lena taumelte und grapschte nach dem Riemen, fand aber keinen Halt. Noch bevor sie begriff, was da passierte, riss eine kleine Hand noch einmal an ihr herum, das Gesicht eines Jungen tauchte auf, merkwürdig grinsend, und wandte sich gleich wieder ab. Der Typ warf sich in die flanierende Menge und tauchte unter.
    Mit ihrem Rucksack.
    Scheiße, das konnte doch nicht wahr sein! Lena spürte Tränen in den Augen, kapierte erst jetzt, was passiert war, und brüllte: »Ein Dieb!« Sie fuchtelte mit den Armen, hatte noch Zeit zu denken: Was mach ich denn da? und rannte dem Langfinger hinterher. Versuchte es wenigstens, denn schon nach ein paar Schritten rutschte sie aus ihren Flip-flops und knickte um. Verflucht! Noch mehr Tränen. Aber auch Wut in ihrem Bauch, die so plötzlich und unerwartet auftauchte wie der Maskenmörder in Horrorfilmen. Wut. Zorn. Das war alles zu viel. »Arschloch!«, brüllte sie dem Typ hinterher, humpelte versuchsweise und zuckte zusammen. »Hilfe!«, rief sie noch einmal, aber schon viel leiser. Scheiß drauf, dachte sie.
    »Ich helfe«, sagte jemand neben ihr. Bevor sie mitbekam, wer gesprochen hatte, flitzte er los, warf sich in die Menge und jagte dem Dieb hinterher. Lena erkannte nur einen mageren Rücken und ein verwaschenes Heavy-Metal-T-Shirt, dann war auch diese Gestalt im Gedränge verschwunden, war untergegangen wie ein Bleigürtel im Wasser.
    Mühsam schlurfte sie hinterher, stoppte aber schon nach wenigen Schritten, als Seitenstraßen von der Váci utca abgingen. Wohin? Oder sollte sie einfach warten?
    Unschlüssig kaute sie auf ihrer Unterlippe, als sie von der rechten Gasse her wütende Rufe hörte. Sie ging los, folgte dem Lärm, bog noch einmal ab und wusste wieder nicht weiter. Lena lauschte. Von der Menschenmenge war nicht viel übrig geblieben – die schmale Straße war so gut wie leer. Ein bisschen Dreck lag herum, trockener Staub taumelte über parkende Autos und eine alte Frau stand an der Ecke: still wie die Straße, bewegungslos wie die schwüle Großstadtluft. Nein, doch nicht. Die Frau winkte. Lena zeigte mit dem Finger auf sich selbst und riss fragend die Augen auf. Die Frau nickte und deutete mit knochigen, faltigen Fingern in einen Hauseingang. Und richtig: Plötzlich war wieder etwas zu hören, ein Klatschen und Schmerzensschreie. Fragend schaute Lena die alte Frau an.
    Die nickte. Zeigte

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