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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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Lena. »Dieser Vogel. Was ist das?« Sie deutete auf eine Skulptur mit weit ausgebreiteten Flügeln, die über einem Torbogen wachte.
    »Der Turul.«
    Gebannt starrte Lena zu dem Denkmal hinauf.
    »Den habe ich gesehen. Vorletzte Nacht.«
    Lázlo lachte. »Das glaube ich kaum, Gnädigste. Der Turul ist ein Sagenvogel. Ein mythisches Tier.«
    Lena blickte unbeirrt zu dem bronzenen Turul hinauf. Natürlich war es dunkel gewesen, als sie am Fenster ihres Zimmers in der Pension gestanden hatte und über dem Innenhof diesen Vogel kreisen sah. Aber trotzdem: Diese Mischung aus Adler und Geier, dieser gemein gebogene Hakenschnabel und die gewaltigen Krallen. »Also, ich könnte schwören …«
    »Lass es lieber«, sagte Lázlo leise. »Dieser Vogel lebt nur in der Fantasie Ungarns.«
    Sie verließen das Burgareal, drängten sich durch die Touristen und fanden im Schatten der Arkaden einen Caféplatz.
    »Fischerbastei«, sagte Lázlo und wedelte erklärend mit der Hand. »Diesen Abschnitt der Burgmauern musste im Mittelalter die Gilde der Fischer verteidigen, die hier ihren Markt hatte.«
    »Fische! Wasser!«, stöhnte Lena, ließ sich dann aber doch vom Blick hinab auf Donau und Pest beeindrucken. Die Fischerbastei selbst wirkte kitschig und gefiel ihr vielleicht gerade deshalb: Rundbögen wie aus dem Mittelalter, Türmchen wie spitze Zauberhüte – und die Aussicht natürlich. Lázlo bestellte ihnen Kaffee und eine große Karaffe mit Wasser, die Lena mit wenigen Schlucken leer trank. Dann musterte sie Lázlo, der nach ein paar weiteren Touristensätzen verstummt war. Er starrte hinunter auf das Panorama von Budapest und schien doch nur in sich selbst hineinzublicken. Lena dachte daran, wie Lázlo und sie in dem Amphibienbus durch die Donau gerauscht waren, wie sie vor ihm geweint und er sie an den Fluss geführt hatte. An die Freiheitsbrücke. Sie fühlte sich hingezogen zu ihm und wusste selbst nicht warum. Er war ein bisschen zu dürr, sah sonst ziemlich gut aus und hatte dieses exotische Etwas. Aber das war nicht die Hauptsache. Die Augen, dachte Lena. Diese Mischung aus Traurigkeit und Verzweiflung. Da war etwas Verlorenes in Lázlo, was Lena wiederfinden wollte, ein zärtlicher Traum, an dem sie teilzuhaben wünschte. Sie schaute seine Hände an, stellte sich vor, wie diese Finger sanft über ihren Rücken streicheln würden, und fühlte prompt das berühmte Kribbeln im Bauch.
    »Und woran denkst du?« Lázlo war offenbar wieder aus seinen Gedanken aufgetaucht und lächelte sie spöttisch an.
    »Daran«, antwortete sie, »dass du wie Budapest bist.«
    »Ist das gut oder schlecht?«
    Lena zuckte nur mit den Schultern, aber er ließ nicht locker: »Und wie ist Budapest deiner Meinung nach?«
    »Sehr fremd und sehr schön«, sagte Lena leise. »Und irgendwie … zusammengestückelt?«
    Fragend schaute er sie an.
    »Na ja«, versuchte sie zu erklären. »So gemischt eben. Ihr habt tolle alte Häuser wie wir in Wien, aber auch supermoderne Bauten. Ihr habt türkische Bäder, kommunistische Scheußlichkeiten, viel Jugendstil, dann diese Burg hier …« Sie zögerte, weil sie seinen Blick nicht deuten konnte: Kalt und maskenhaft wirkte Lázlos Gesicht. »Aber ich habe immer noch nicht«, fuhr sie tapfer, aber noch leiser fort, »das Eigene von Budapest gefunden, das Einzigartige sozusagen. Und so bist du auch, weißt du? Ich habe das Gefühl, den eigentlichen Lázlo noch nicht …«
    Sie verstummte, als sein Gesicht Risse bekam. Ein wütendes Zucken öffnete seine Lippen, die melancholischen Augen funkelten wild. »Gut beobachtet, Lena«, knurrte er. »Budapest ist nichts weiter als eine Mischung der Herrschenden. Jahrhundertelang wurden wir unterdrückt und gequält. Sie zwangen uns ihre Gewohnheiten auf und wir schluckten sie dankbar. Ungarn muss erwachen aus der Knechtschaft dieser Herrscher, wir …«
    »Lázlo.« Lena unterbrach ihn vorsichtig – da hatte sie ja ein schönes Giftfass umgeworfen. Noch nie hatte sie ihn so böse, so wütend erlebt.
    »Nein«, machte er weiter. »Du hast gefragt, jetzt höre. Das Eigentliche von Ungarn? Die Wut, der Zorn, der Wunsch nach Freiheit. Die Rache an unseren Unterdrückern.«
    »Aber …« Lena wich von ihm zurück. Er redete sich immer mehr in Rage, seine Stimme wurde lauter und böser, sein Blick verdunkelte sich. Sie verstand nicht, worüber er redete, spürte aber, wie hölzern Lázlos Sätze klangen. Er erinnerte sie an einen Papagei, der Worte von anderen nachplappert.

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