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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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freundlich. Er wartete, schien sich zu sammeln und machte entschlossen weiter. »Ich wünschte auch, es wäre nicht so, Lázlo, o ja. Glaube mir, ich habe mehr als viele andere unter der Gewalt gelitten. Aber nur mit Feuer oder Gift kann man Unkraut vernichten. Eine Reinigung ist schmerzhaft, ein Geschwür kann nur mit scharfem Messer und bei fließendem Blut entfernt werden.«
    »Aber …«
    Holló hob seine Hand und Lázlo verstummte. »Freiheit«, sagte die silberne Maske, »Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Französische Revolution und ihre hehren Werte – wie viele Menschen mussten sterben? Es geht nicht anders, Lázlo. Nenne mir eine Revolution, die den Dreck der Herrscher nicht mit Blut abgewaschen hat.«
    Lázlo nickte. Er hatte sich diese Frage so genau überlegt, wie seine Erschöpfung es zuließ. »Was ist mit dem Ende des Kommunismus? Dem Fall der Mauer in Deutschland? Wir haben die Demokratie erreicht ohne …«
    »Das«, zischte der Rabe, »war keine Revolution, du Dummkopf.« Bedrohlich neigte er sich vor. »Sondern politisches Kalkül.«
    Lázlo zuckte zusammen.
    »Entschuldige«, sagte Holló wieder leise. »Du weißt es eben nicht besser.«
    »Aber ich will es wissen«, flüsterte Lázlo.
    »Gut. Das freut mich. Und ich werde dir alles erklären. Aber nicht hier. Nicht heute. Der große Plan ist bereit. Ungarn zuckt und regt sich schon im Schlaf. Wenn Ungarn erwacht ist, Lázlo, werde ich dir auch mehr von deinem Vater erzählen. Das möchtest du doch, oder?«
    Lázlo nickte.
    »Und ich möchte etwas von dir. Du bist ein wichtiger Teil des Planes. Und du musst mir etwas beschaffen.«
    »Sicher. Alles. Was?« Lázlo schüttelte sich.
    Der Rabe öffnete eine Schreibtischschublade, griff hinein und hielt ihm zwei seifengroße, quadratische Blöcke hin. »Was ist das?«, fragte Lázlo verblüfft.
    »Wachs«, erklärte der Rabe. »Weich und hart zugleich. So wie der Mensch Eisen und Schlamm sein kann. Ich brauche einen Schlüssel, mein Lieber. Den Generalschlüssel für das ungarische Parlament.«

Teil II:
Durchführung
13
    Mittwoch, 17. August, über eine Woche später
    13.59 Uhr, Óbuda, Wohnsiedlung Faluház
    Es war so einfach gewesen. Lázlo streifte den Kopfhörer von den Ohren und ließ »Moby Dick« ins Nichts plärren – in letzter Zeit mochte er ihre Musik nicht mehr so wie früher.
    Wirklich einfach.
    Er grinste und trat ans Fenster, blickte hinunter auf Autobahn und Antike. Es ging ihm besser. Er war sicherer geworden in seinem Denken und Handeln, hatte keine Zweifel mehr, war gerettet. Sein Kopf schmerzte seltener und die Müdigkeit war so sehr eins geworden mit ihm, dass er sie kaum noch spürte.
    Lächerlich einfach: Seine Mutter arbeitete seit über zehn Jahren im Parlament und organisierte die Putzkolonne dort. Schon längst hatte man ihr einen Schlüssel zugeteilt, der einen Seiteneingang in das triumphale Gebäude öffnete. Den Generalschlüssel aber, den Holló von Lázlo gefordert hatte, musste sie sich gegebenenfalls vom Sicherheitsdienst holen. Lázlo lieferte den Wachsabdruck des einfachen Schlüssels gleich am nächsten Abend bei Holló ab, für den Generalschlüssel brauchte er ein wenig länger: Er besuchte seine Mutter ein paarmal bei der Arbeit. Sie fand’s toll, freute sich, dass er Interesse zeigte, und Lázlo musste nur warten, bis sie den Schlüssel brauchte. Dann ein bisschen Ablenkung und die Sache war geritzt: Stolz präsentierte Lázlo dem Raben auch Schlüsselabdruck Nummer 2.
    »Ich bin sehr zufrieden mit dir«, hatte der gesagt.
    Gewissensbisse? Zweifel? Lázlo blickte aus dem Fenster. Die Sonne verschwamm heute zum ersten Mal seit Wochen hinter einem Schleier aus feinem Wolkendunst. Schwül und drückend war es trotzdem, aber vielleicht donnerte ja wenigstens mal ein Gewitter los.
    Gewissensbisse? Nein, ja: Er träumte schlecht. Jede Nacht schlich sich der Wachmann in seinen Schlaf, schlich nicht, sondern kroch blutend und stöhnend auf Lázlo zu. Klagte ihn an. Und dann war da Lena. Fast täglich hatten sie sich in der letzten Woche gesehen, mal für wenige Stunden, mal für länger. Er horchte sie aus, heuchelte Mitleid, nein, das nicht, das war echt. Oder? Natürlich waren seine Gefühle echt, und nicht nur das, sie waren stark. Wenn er es ehrlich zugegeben hätte: Längst war er in Lena verliebt. Über beide Ohren. Wie hätte es auch anders kommen können? Lázlo verstand nicht, was mit seinem Leben passierte, aber er spürte, dass er wie eine Billardkugel

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