Blutrotes Wasser
über den Tisch rollte, perfekt angestoßen und ohne Chance, das Loch in der Ecke zu verpassen. Er fühlte sich frei wie nie in den letzten fünf Jahren und doch gefangen. Eine Kugel eben, die ihre Richtung nicht ändern konnte. Rolle, rolle, rolle, Kugel Lázlo. Aber er fühlte sich gut. Als er mit seinen beiden Ex-Freunden Rasierklinge und Alkohol in die Badewanne gestiegen war, hatte sein Herz im Betonmischgang geschleudert. Und sein Kopf war leer gewesen, nein: mit Schwärze gefüllt, mit Hoffnungslosigkeit und allem Dreck der Welt. Jetzt hatte er die Fekete Sereg, hatte Janosch, André, Frosch und natürlich Holló. Der Rabe war sein Freund und Mentor geworden. Die Silbermaske der Spiegel, in dem Lázlo sich strahlen sehen wollte. Fast jede Nacht fand sich Lázlo im Tunnellabyrinth unter der Burg ein, sog Hollós Worte auf und fühlte sich geborgen in der Hundertschaft der Schwarzen Armee. Fühlte sich zu Hause.
Und Lena? Er hatte noch nicht gewagt, sie zu küssen. Irinas Lachen dröhnte noch in seinen Ohren, und Lena hatte auch keine Anstalten in diese Richtung gemacht. Zumindest nicht seit ihrem Abend im Old Man’s Club, als er den schleimigen alten Knacker zurückgepfiffen hatte. Mann, war Lena sauer gewesen.
Lázlo kniff die Augen zusammen, schaute die Sonne an und wünschte sich Regen. Wirklich sauer, o ja. Lázlo hatte fast die gesamte Woche gebraucht, um sie wieder gnädig zu stimmen. Er sehnte sich nach ihrer Stimme, nach ihren lachenden Augen, nach ihrer Haut. Schlechtes Gewissen? Nein. Doch. Lázlo fühlte sich gut, aber irgendwo saß ein Splitter in seinem Kopf, kaum schmerzhaft, nur unangenehm und nervend.
Das Handy jaulte.
»Hallom«, sagte Lázlo. Ich höre.
»Janosch hier. Heute Nacht, elf Uhr, im Tunnel.«
»Was gibt es?«
»Ein Dankeschön von Holló. Weil du die Schlüssel so schnell besorgt hast, lässt er dich in die innere Gruppe. Heute fängst du an.«
»Mit was?«
»Nun …« Janosch lachte. »So etwas wie basteln.«
14.11 Uhr, Polizeipräsidium, Teve utca
Hauptkommissar Frenyczek klopfte auf der Maus herum. Sie quiekte nicht, sie bewegte sich aber auch nicht. Das Scheißding rührte sich einfach überhaupt nicht, und genauso still blieb der Cursor auf der Bildschirmmitte. Frenyczek riss das Kabel aus dem USB-Anschluss und knallte die Maus an die Wand. Teufel noch mal! Wie oft hatten die Techniker schon neues Computer-Equipment gebracht? Und immer war es die Scheiß-Maus, die zuerst den Geist aufgab.
Der Kommissar hatte ein ganz mieses Gefühl im Bauch. Polizisten achteten auf so was, ohne es überzubewerten. Der Bauch konnte recht haben oder auch nicht. Schluss. Trotzdem kannte Frenyczek keinen Bullen, der im Zweifelsfall nicht auf das Rumoren im Gedärm gehört hätte. Und ihm sagte es blubbernd: Hier ist die Kacke ganz schön am Dampfen.
Aber er fand sie nicht. Zwar konnte er den Gestank überall wahrnehmen, aber er entdeckte einfach nicht die Quelle des Geruchs. Die Kriminalpolizei trat auf der Stelle. Von F. S. oder der Fekete Sereg hatte man nichts mehr gehört. Das Gellért-Bad war längst wieder für den Publikumsverkehr freigegeben und das blutrote Wasser galt nur noch als spannende Anekdote. Das Wissenschaftler-Pack lieferte genauso viele Ergebnisse: null. Zwar hatte Emil Meinrad wiederholt die Sensoren geprüft, aber Professor Radelodz quatschte nur von unbrauchbaren Daten. Noch Wochen konnte sich das hinziehen, Wochen, die sie nicht haben würden. Sagte Frenyczeks Bauch.
Der Kommissar schnappte sich das Telefon. »Irgendetwas Neues über die Bombe im Wald?«
»Sorry, Chef. Kein geänderter Kenntnisstand: Die Bombe ist zwar von Stümpern zusammengepfuscht worden, funktioniert aber beängstigend gut.«
»Und die Bestandteile? Woher …?«
»Wissen wir noch nicht.«
»Dann macht Dampf.«
»Chef, wir sehen schon keinen Meter mehr weit, so viel Dampf schwirrt hier durch die Räume.«
»Witzbold! Und was ist mit dem Einbruch im Parlament?«
»Was soll damit sein?«
Frenyczek drückte seine freie Hand an die Stirn und massierte sich die Schläfen. »Habt – ihr – schon – jemanden?«, blaffte er laut in den Hörer.
»Nem. Aber die Jungs von der Kriminaltechnik haben die Überwachungskameras noch mal überprüft.«
»Und?«
»Die sind jetzt ziemlich sicher, dass es sich um Jugendliche handelt. Körperbau und so. Also nichts Ernstes, denke ich, ein Kinderjux oder so, vielleicht eine Mutprobe.«
Ohne Verabschiedung knallte Frenyczek den Hörer auf die Gabel
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