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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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»Du bist tapfer.«
    Ein bitteres Lächeln auf dem Gesicht des Jungen, aber die Augen klappten wieder zu.
    »Und du musst mir helfen, okay?« Frenyczek wartete, aber es kam keine Antwort. Kein Nicken, noch nicht mal ein Stöhnen. Die Apparate summten und piepten nervös. »Junge?«, fragte der Kommissar und griff vorsichtig nach der kleinen Hand. Drückte sie. »Was haben die vor? Wann?«
    Noch einmal gingen die Augen auf, nur Millimeter, kleine Schlitze, die wenig sehen konnten.
    »Lassen Sie’s gut sein«, mischte sich Doktor Anday ein. »Er ist noch nicht so weit.«
    Frenyczek schüttelte den Kopf. Er beugte sich zu den Augenschlitzen hinab. »Wann?«, wiederholte er.
    Ein leises Husten. Zwei gemurmelte, nur gehauchte Wörter: »István ünnepe.«
    Frenyczek schloss nun selbst die Augen und fuhr sich mit der Hand über sein stoppeliges Kinn. Wie hatte er so blind sein können? Natürlich: István ünnepe. Der Tag des heiligen Stephan. Der Nationalfeiertag Ungarns. Und wie jedes Jahr der 20. August. In zwei Tagen, übermorgen.
    Ihnen blieben noch nicht mal 48 Stunden.

15
    Aus dem Tagebuch
    Die Würfel sind geschleudert, die Armeen gesetzt, die Schlacht beginnt. Atme, Ungarn, atme. Lass mich dein Geburtshelfer sein, ich gebe dir einen gewaltigen Klaps. Beginne zu atmen, mein Land. Beginne jetzt! Am Tag des heiligen Stephan soll die neue Zeit beginnen. Wann sonst? Der 20. August ist das Datum, an dem der schwache Zwerg Ungarn als Riese wiedergeboren wird. Ich zähle die Tage, zähle die Stunden. Nicht mehr lange, König Corvinus, nicht mehr lange. Schläfst du sanft und tief im Innern des Berges Petzen * und wartest auf die Weltschlacht? Ich verspreche sie dir. Zwar keinen Weltenkrieg, noch nicht, aber einen Anfang. Dein Ungarn, ein kleines Land im Herzen Europas, wird sich schütteln und endlich einen Neubeginn wagen. Nicht mehr lange, Matthias Corvinus, mein König.
    Es wird Zeit, geplagtes Ungarn. Allzu lange warst du Zwerg und Sklave. Was haben sie uns nicht alles genommen und gestohlen! Die wichtigsten Entdeckungen der Welt, sie wurden in Ungarn gemacht. Wir erfanden Zündhölzer und Kugelschreiber ebenso wie die Wasserstoffbombe. Aber wer kennt noch Irinyi, Biro oder Edward Teller? Dávid Schwarcz erfand den Zeppelin, Denes Gabor die Holografie, Albert Szent-Györgyi entschlüsselte die Formel des Vitamin C. Aber wer kennt sie? Niemand. Der berühmteste Ungar, ha, ist heute der Erfinder eines … Spielzeuges. Der Rubik’s Cube, der Zauberwürfel. Ein Plastikquadrat mit bunten Farben. Alle anderen, sie wurden benutzt und weggeworfen wie ein Paar alte Schuhe. Wer kennt sie? Wer sendet seinen Dank nach Ungarn?
    Niemand.
    Es wird Zeit – die Würfel sind geschleudert. Zwei große Ziele werden es sein, zweimal Zerstörung, zwei Schläge, um Ungarn aus seiner Agonie zu wecken. Denn wer so tief schläft, wacht nicht von alleine auf, er muss geschüttelt werden und manchmal eben auch geschlagen. Zweimal ein Anfang: die Thermalbäder Budapests – sie werden in Angst und Panik untergehen. Wer wird sich je wieder in mineralweiches Wasser trauen, wenn aufgedunsene Leichen darin schwammen? Und das Parlament, natürlich, der Landtag Ungarns, dieses verlogene Symbol einer faulen Demokratie, dieses protzige Monster. Zu Asche soll es werden, auf dass der Phönix Ungarn aufsteige und als Turul über die Welt fliege. Zerstörung und Chaos, ruft der Gott Anarchie. Angst gebiert Mut. Und die Krone, ja, sie wird endlich dem Edlen gebühren.
    Mir.

16
    Immer noch Donnerstag, 18. August
    14.13 Uhr, Andrássy út
    Seit drei Stunden irrte er jetzt durch Budapest. Von einer Straße in die nächste, immer einen Schritt nach dem anderen, so als spürte sein Körper: Wenn der stehen bleibt, fällt er vor Erschöpfung um. Vielleicht war der Grund auch ein anderer. Lázlo rannte davon. Vor sich selbst.
    Mehrmals hatte er es auf Lenas Handy probiert, aber sie meldete sich nicht. Wahrscheinlich sah sie seine Nummer und war noch sauer. Auf ihre Mailbox wollte Lázlo nicht quatschen, er musste ihre Stimme hören, keine Aufzeichnung, er musste sie sehen und mit ihr reden und alles erklären. Nein, nicht alles.
    Sonst würde er sie verlieren.
    Mittlerweile war er an der Andrássy út * gelandet, Budapests Showmeile, viel befahren, gern belaufen, übersät mit Sehenswürdigkeiten-Tüpfelchen auf den Stadtplänen der Touristen: Opernhaus, Postmuseum, Haus des Terrors, alle möglichen Cafés und schicke Boutiquen. Lázlo sah nicht viel davon,

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